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Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise
Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

 

PERSONEN
* Sultan Saladin
* Sittah, dessen Schwester
* Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
* Recha, dessen angenommene Tochter
* Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als
Gesellschafterin der Recha
* Ein junger Tempelherr
* Ein Derwisch
* Der Patriarch von Jerusalem
* Ein Klosterbruder
* Ein Emir nebst verschiedenen Mameluken des Saladin

 

Die Szene ist in Jerusalem.

 

ERSTER AUFZUG

 

ERSTER AUFTRITT

/ Szene: Flur in Nathans Hause. Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen. /

DAJA

Er ist es! Nathan! — Gott sei ewig Dank,
Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

NATHAN

Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum *endlich*?
Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiss
Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das
So von der Hand sich schlagen lässt.

DAJA

O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus …

NATHAN

Das brannte.
So hab ich schon vernommen. — Gebe Gott,
Dass ich nur alles schon vernommen habe!

DAJA

Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

NATHAN

Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
Gebaut; und ein bequemeres.

DAJA

Schon wahr! —
Doch Recha wär bei einem Haare mit
Verbrannt.

NATHAN

Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? —
Das hab ich nicht gehört. — Nun dann! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. — Verbrannt
Bei einem Haare! — Ha! sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! — Sag nur heraus!
Heraus nur! — Töte mich, und martre mich
Nicht länger. — Ja, sie ist verbrannt.

DAJA

Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

NATHAN

Warum erschreckest du mich denn? — O Recha!
O meine Recha!

DAJA

Eure? Eure Recha?

NATHAN

Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,
Dies Kind *mein* Kind zu nennen!

DAJA

Nennt Ihr alles,
Was Ihr besitzt, mit eben so viel Rechte
Das Eure?

NATHAN

Nichts mit größerm! Alles, was
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank ich der Tugend.

DAJA

O wie teuer lasst
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!

NATHAN

In solcher Absicht?
In welcher?

DAJA

Mein Gewissen…

NATHAN

Daja, lass
Vor allen Dingen dir erzählen …

DAJA

Mein
Gewissen, sag ich …

NATHAN

Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

DAJA

Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch
Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.

NATHAN

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.

DAJA

So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

NATHAN

Nimm du so gern, als ich dir geb; — und schweig!

DAJA

Und schweig! — Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
Und doch …

NATHAN

Doch bin ich nur ein Jude. — Gelt,
Das willst du sagen?

DAJA

Was ich sagen will,
Das wisst Ihr besser.

NATHAN

Nun so schweig!

DAJA

Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann —
Nicht kann, — komm’ über Euch!

NATHAN

Komm’ über mich! —
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? — Daja,
Wenn du mich hintergehst! — Weiß sie es denn,
Dass ich gekommen bin?

DAJA

Das frag ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.

NATHAN

Armes Kind!
Was sind wir Menschen!

DAJA

Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschlossnem Aug', und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: „Horch! horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! seine sanfte Stimme selbst!” — Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt auf das Kissen. — Ich, zur Pfort' hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich!
Was Wunder! ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch — und ihm. —

NATHAN

Bei ihm?
Bei welchem Ihm?

DAJA

Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.

NATHAN

Wer war das! wer? — Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? Wer?

DAJA

Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.

NATHAN

Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!

DAJA

Ohn ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

NATHAN

Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? —
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? weit mehr?

DAJA

Wie konnten wir?

NATHAN

Nicht? nicht?

DAJA

Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. — Ohn alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist —
Verschwunden!

NATHAN

Nicht auf immer, will ich hoffen.

DAJA

Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor — nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.

NATHAN

Nun?

DAJA

Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goss so bittern Spott auf mich besonders …

NATHAN

Bis dadurch abgeschreckt …

DAJA

Nichts weniger!
Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht
Noch gern ertragen! — Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. —
Ihr staunt? Ihr sinnt?

NATHAN

Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
Und doch so angezogen werden; — Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muss spielen. — Schlimmer Tausch! —
Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

DAJA

Allein so fromm,
So liebenswürdig!

NATHAN

Ist doch auch geschwärmt!

DAJA

Vornehmlich eine — Grille, wenn Ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutze sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten, — Lächelt nicht! — Wer weiß?
Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud' und Christ und Muselmann
Vereinigen; — so einen süßen Wahn!

NATHAN

Auch mir so süß! — Geh, wackre Daja, geh;
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. —
Sodann such ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hienieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find ich ihn gewiss, und bring
Ihn her.

DAJA

Ihr unternehmet viel.

NATHAN

Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: —
Denn, Daja, glaube mir, dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel —
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

DAJA

Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
Ich geh! — Doch hört! — doch seht! — Da kommt sie selbst.

 

ZWEITER AUFTRITT

/ Recha und die Vorigen. /

RECHA

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
Die arme Recha, die indes verbrannte! —
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen.

NATHAN

Mein Kind! Mein liebes Kind!

RECHA

Ihr musstet über
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über — wer
Weiß was für Wasser all? — Wie oft hab ich
Um Euch gezittert, eh das Feuer mir
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
Erquickung, Labsal, Rettung. — Doch Ihr seid
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
Auf Flügeln seiner *unsichtbaren* Engel
Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,
Er winkte meinem Engel, dass er *sichtbar*
Auf seinem weißen Fittiche mich durch
Das Feuer trüge —

NATHAN

/ beiseite /

Weißem Fittiche!
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
Des Tempelherrn.

RECHA

Er sichtbar, sichtbar mich
Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche
Verweht. — Ich also, ich hab einen Engel
Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
Und *meinen* Engel.

NATHAN

Recha wär es wert;
Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er
An ihr.

RECHA

/ lächelnd /

Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? Wem?
Dem Engel, oder Euch?

NATHAN

Doch hätt auch nur
Ein Mensch — ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt — dir diesen Dienst erzeigt, er müsste
Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.

RECHA

Nicht so ein Engel, nein! ein wirklicher;
Es war gewiss ein wirklicher! — Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,
Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb ihn ja.

NATHAN

Und er liebt dich; und tut
Für dich und deinesgleichen, stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.

RECHA

Das hör ich gern.

NATHAN

Wie? Weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte: sollt es darum weniger
Ein Wunder sein? — Der Wunder höchstes ist,
Dass uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn dieses allgemeine Wunder hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.

DAJA

/ zu Nathan /

Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?

NATHAN

Lass mich! — Meiner Recha wär
Es Wunders nicht genug, dass sie ein *Mensch*
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, dass Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? dass je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt, und höchstens seinen Dolch?

RECHA

Das schließt für mich, mein Vater — Darum eben
War das kein Tempelherr; er schien es nur. —
Kommt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?

NATHAN

Sieh! wie sinnreich.
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
Von dir, dass er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

DAJA

Nun ja. — So sagt man freilich; — doch man sagt
Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Dass dieser Bruder nicht mehr lebt — er hieß,
Ich weiß nicht wie — er blieb, ich weiß nicht wo: —
So klingt das ja so gar — so gar unglaublich,
Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.

NATHAN

Ei, Daja! Warum wäre denn das so
Unglaublich? Doch wohl nicht — wie’s wohl geschieht —
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? — Warum hätte Saladin,
Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? — Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? —
Seit wann? — Wo steckt hier das Unglaubliche? —
Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich
Kein Wunder mehr; und *deine* Wunder nur
Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

DAJA

Ihr spottet.

NATHAN

Weil du meiner spottest. — Doch
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel — wenn nicht sein Spott —
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

RECHA

Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre
Nicht gern.

NATHAN

Vielmehr, du lässt dich gern belehren. —
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
Der Rücken einer Nase, so vielmehr
Als so geführet; Augenbraunen, die
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
So oder so sich schlängeln; eine Linie,
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
Gesicht: — und du entkommst dem Feu’r in Asien!
Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

DAJA

Was schadet’s — Nathan, wenn ich sprechen darf —
Bei alledem, von einem Engel lieber
Als einem Menschen sich gerettet denken?
Fühlt man der ersten unbegreiflichen
Ursache seiner Rettung nicht sich so
Viel näher?

NATHAN

Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. — Pah! —
Und was es schadet, fragst du? Was es schadet?
Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. —
Denn dein „Sich Gott um so viel näher fühlen”
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. —
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. —
Kommt! hört mir zu. — Nicht wahr? dem Wesen, das
Dich rettete — es sei ein Engel oder
Ein Mensch — dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun?
Nicht wahr? — Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
Almosen spenden — Alles nichts. — Denn mich
Däucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger
Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

DAJA

Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn
Zu *tun*, uns mehr Gelegenheit verschafft.
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
Allein er wollte ja, bedurfte ja
So völlig nichts; war in sich, mit sich so
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
Sein können.

RECHA

Endlich, als er gar verschwand…

NATHAN

Verschwand? — Wie denn verschwand? — Sich untern Palmen
Nicht ferner sehen ließ? — Wie? oder habt
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

DAJA

Das nun wohl nicht.

NATHAN

Nicht, Daja? nicht? — Da sieh
Nun, was es schad’t! — Grausame Schwärmerinnen! —
Wenn dieser Engel nun — nun krank geworden!

RECHA

Krank!

DAJA

Krank? Er wird doch nicht!

RECHA

Welch kalter Schauer
Befällt mich! — Daja! — Meine Stirne, sonst
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

NATHAN

Er ist
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt!
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

RECHA

Krank! krank!

DAJA

Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

NATHAN

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld,
Sich Freunde zu besolden.

RECHA

Ah, mein Vater!

NATHAN

Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

RECHA

Wo? Wo?

NATHAN

Er, der für eine, die er nie
Gekannt, gesehn — genug, es war ein Mensch —
Ins Feu’r sich stürzte …

DAJA

Nathan, schonet ihrer!

NATHAN

Der, was er rettete, nicht näher kennen,
Nicht weiter sehen mocht, um ihm den Dank
Zu sparen …

DAJA

Schonet ihrer, Nathan!

NATHAN

Weiter
Auch nicht zu sehn verlangt, es wäre denn,
Dass er zum zweiten Mal es retten sollte —
Denn g'nug, es ist ein Mensch …

DAJA

Hört auf, und seht!

NATHAN

Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts —
Als das Bewusstsein dieser Tat!

DAJA

Hört auf!
Ihr tötet sie!

NATHAN

Und du hast ihn getötet! —
Hättest so ihn töten können. — Recha! Recha!
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
Er lebt! — komm zu dir! — ist auch wohl nicht krank;
Nicht einmal krank!

RECHA

Gewiss? — nicht tot? nicht krank?

NATHAN

Gewiss, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
Getan, auch hier noch. — Geh! — Begreifst du aber,
Wie viel *andächtig schwärmen* leichter, als
*Gut handeln* ist? Wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, — ist er zu Zeiten
Sich schön der Absicht deutlich nicht bewusst —
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

RECHA

Ah,
Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha, doch
Nie wiederum allein! — Nicht wahr, er kann
Auch wohl verreist nur sein? —

NATHAN

Geht! — Allerdings. —
Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt ihr ihn?

DAJA

Ha! Euer Derwisch.

NATHAN

Wer?

DAJA

Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

NATHAN

Al-Hafi? das Al-Hafi?

DAJA

Jetzt des Sultans
Schatzmeister.

NATHAN

Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? —
Er ist’s! — wahrhaftig ist’s! — kommt auf uns zu.
Hinein mit Euch, geschwind! — Was werd’ ich hören!

 

DRITTER AUFTRITT

/ Nathan und der Derwisch. /

DERWISCH

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN

Bist du’s? Bist du es nicht? — In dieser Pracht,
Ein Derwisch! …

DERWISCH

Nun! Warum denn nicht! Lässt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN

Ei wohl, genug! — Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch — so der rechte Derwisch — woll'
Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH

Beim Propheten!
Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muss —

NATHAN

Muss! Derwisch! — Derwisch muss?
Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?
Was müsst er denn?

DERWISCH

Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.

NATHAN

Bei unserm Gott! da sagst du wahr. — Lass dich
Umarmen, Mensch. — Du bist doch noch mein Freund?

DERWISCH

Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

NATHAN

Trotz dem, was du geworden!

DERWISCH

Könnt ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?

NATHAN

Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl
Im Staat ist nur dein Kleid.

DERWISCH

Das auch geehrt
Will sein. — Was meint Ihr? ratet! — Was wär ich
An Eurem Hofe?

NATHAN

Derwisch, weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich — Koch!

DERWISCH

Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. — Koch!
Nicht Kellner auch? — Gesteht, dass Saladin.
Mich besser kennt. — Schatzmeister bin ich bei
Ihm worden.

NATHAN

Du? — bei ihm?

DERWISCH

Versteht:
Des kleinem Schatzes; denn des größern waltet
Sein Vater noch — des Schatzes für sein Haus.

NATHAN

Sein Haus ist groß.

DERWISCH

Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN

Doch ist den Bettlern Saladin so feind —

DERWISCH

Dass er mit Stumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt, — und sollt er selbst darüber
Zum Bettler werden.

NATHAN

Brav! so mein ich’s eben.

DERWISCH

Er ist’s auch schon, trotz einem! — Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie Morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen —

NATHAN

Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.

DERWISCH

Getroffen!

NATHAN

Ich kenne das!

DERWISCH

Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s
Noch zehnmal weniger.

NATHAN

O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!

DERWISCH

Ihr habt gut reden, Ihr! — Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
Euch ab.

NATHAN

Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH

Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern:
Denn ist es Ebb’ im Schatz, — wie öfters ist, —
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN

Auch Zins vom Zins der Zinsen?

DERWISCH

Freilich!

NATHAN

Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

DERWISCH

Das lockt Euch nicht? So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN

Wahrlich? Wie
Denn so? Wie so denn?

DERWISCH

Dass Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; dass
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. —
Ihr schüttelt?

NATHAN

Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt’s zu unterscheiden. — Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen. — Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der — dem —

DERWISCH

Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer
So gut als klug, so klug als weise seid? —
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
Soll bald geschieden wieder sein. — Seht da
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

NATHAN

Dir ähnlich g'nug!

DERWISCH

Und Schach mit ihnen spiele.

NATHAN

Dein höchstes Gut!

DERWISCH

Denkt nur, was mich verführte! —
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
Vermögend wär im Hui den reichsten Bettler
In einen armen Reichen zu verwandeln?

NATHAN

Das nun wohl nicht.

DERWISCH

Weit etwas Abgeschmackteres!
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
Durch Saladins gutherz’gen Wahn geschmeichelt.

NATHAN

Der war?

DERWISCH

„Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
Zumute sei; ein Bettler habe nur
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
Erkundigte so ungestüm sich erst
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, dass
Er nur den Mangel kenne, wollt er auch
Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
Das wird Ai-Hafi nicht! So unmild mild
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
Ai-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
Die ihre klar und still empfangnen Wasser
So unrein und so sprudelnd wieder geben.
Al-Hafi denkt, Al-Hafi fühlt wie ich!” —
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
Der Gimpel in dem Netze war. — Ich Geck!
Ich eines Gecken Geck!

NATHAN

Gemach, mein Derwisch,
Gemach!

DERWISCH

Ei was! — Es wär nicht Geckerei,
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
Ein Menschenfreund an Einzeln scheinen wollen?
Es wär nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
Und Regen sich verbreitet — nachzuäffen,
Und nicht des Höchsten immer volle Hand
Zu haben? Was? es wär nicht Geckerei …

NATHAN

Genug! hör auf!

DERWISCH

Laszt *meiner* Geckerei
Mich doch nur auch erwähnen! — Was? Es wäre
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
Die gute Seite dennoch auszuspüren,
Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
An dieser Geckerei zu nehmen? He?
Das nicht?

NATHAN

Al-Hafi, mache, dass du bald
In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte,
Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
Zu sein verlernen.

DERWISCH

Recht, das fürcht ich auch.
Lebt wohl!

NATHAN

So hastig? — Warte doch, Al-Hafi.
Entläuft dir denn die Wüste? — Warte doch! —
Dass er mich hörte! — He, Al-Hafi! hier! —
Weg ist er; und ich hätt ihn noch so gern
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
Dass er ihn kennt.

 

VIERTER AUFTRITT

/ Daja eilig herbei. Nathan. /

DAJA

O Nathan, Nathan!

NATHAN

Nun?
Was gibt’s?

DAJA

Er lässt sich wieder sehn! Er lässt
Sich wieder sehn!

NATHAN

Wer, Daja? wer?

DAJA

Er! er!

NATHAN

Er? Er? Wann lässt sich *der* nicht sehn! — Ja so
Nur Euer Er heißt er. — Das sollt er nicht!
Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht!

DAJA

Er wandelt untern Palmen wieder auf
Und ab, und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln!

NATHAN

Sie essend? — und als Tempelherr?

DAJA

Was quält
Ihr mich? — Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter
Den dicht verschränkten Palmen schon, und folgt
Ihm unverrückt. Sie lässt Euch bitten — Euch
Beschwören, ungesäumt ihn anzugehn.
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
Ob er hinaufgeht oder weiter ab
Sich schlägt. O eilt!

NATHAN

So wie ich vom Kamele
Gestiegen? — Schickt sich das? — Geh, eile du
Ihm zu, und meld ihm meine Wiederkunft.
Gib Acht, der Biedermann hat nur mein Haus
In meinem Absein nicht betreten wollen;
Und kommt nicht ungern, wenn der Vater selbst
Ihn laden lässt. Geh, sag, ich lass ihn bitten,
Ihn herzlich bitten …

DAJA

All umsonst! Er kömmt
Euch nicht. — Denn kurz: er kommt zu keinem Juden.

NATHAN

So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten,
Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
Begleiten. — Geh, ich komme gleich dir nach.

/ Nathan eilt hinein, und Daja heraus. /

 

FÜNFTER AUFTRITT

/ Szene: ein Platz mit Palmen, unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle. /

TEMPELHERR

Der folgt mir nicht vor langer Weile! — Sieh,
Wie schielt er nach den Händen! — Guter Bruder,
Ich kann Euch auch wohl Vater nennen, nicht?

KLOSTERBRUDER

Nur Bruder. — Laienbruder nur; zu dienen.

TEMPELHERR

Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!
Bei Gott! bei Gott! ich habe nichts —

KLOSTERBRUDER

Und doch
Recht warmen Dank! Gott geb’ Euch tausendfach,
Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille
Und nicht die Gabe macht den Geber. — Auch
Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar
Nicht nachgeschickt.

TEMPELHERR

Doch aber nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER

Ja, aus dem Kloster.

TEMPELHERR

Wo ich eben jetzt
Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?

KLOSTERBRUDER

Die Tische waren schon besetzt: komm' aber
Der Herr nur wieder mit zurück.

TEMPELHERR

Wozu?
Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen
Allein was tut’s? Die Datteln sind ja reif.

KLOSTERBRUDER

Nehm' sich der Herr in Acht mit dieser Frucht.
Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft
Die Milz, macht melancholisches Geblüt.

TEMPELHERR

Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? —
Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr
Mir doch nicht nachgeschickt?

KLOSTERBRUDER

O nein! — Ich soll
Mich nur nach Euch erkunden, auf den Zahn
Euch fühlen.

TEMPELHERR

Und das sagt Ihr mir so selbst?

KLOSTERBRUDER

Warum nicht?

TEMPELHERR

(Ein verschmitzter Bruder!) — Hat
Das Kloster Euresgleichen mehr?

KLOSTERBRUDER

Weiss nicht.
Ich muss gehorchen, lieber Herr.

TEMPELHERR

Und da
Gehorcht Ihr denn auch, ohne viel zu klügeln?

KLOSTERBRUDER

Wär’s sonst gehorchen, lieber Herr?

TEMPELHERR

(Dass doch
Die Einfalt immer Recht behält!) — Ihr dürft
Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern
Genauer kennen möchte? — Dass Ihr’s selbst
Nicht seid, will ich wohl schwören.

KLOSTERBRUDER

Ziemte mir's?
Und frommte mir’s?

TEMPELHERR

Wem ziemt und frommt es denn,
Dass er so neubegierig ist? Wem denn?

KLOSTERBRUDER

Dem Patriarchen; muss ich glauben. — Denn
Der sandte mich Euch nach.

Tempelherr

Der Patriarch?
Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel
Nicht besser?

KLOSTERBRUDER

Kenn ja ich’s!

TEMPELHERR

Nun, Bruder? Nun: —
Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner —
Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,
Der Burg, die mit des Stillstands letzter, Stunde
Wir gern erstiegen hätten, um sodann
Auf Sidon loszugehn; — setz ich hinzu:
Selbzwanzigster gefangen und allein
Vom Saladin begnadiget: so weiß
Der Patriarch, was er zu wissen braucht —
Mehr, als er braucht.

KLOSTERBRUDER

Wohl aber schwcrlich mehr,
Als er schon weiß. — Er wüsst auch gern, warum
Der Herr vom Saladin begnadigt worden;
Er ganz allein.

TEMPELHERR

Weiß ich das selber? — Schon
Den Hals entblößt, kniet ich auf meinem Mantel;
Den Streich erwartend, als mich schärfer Saladin
Ins Auge faßt, mir näher springt, und winkt.
Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will
Ihm danken; seh sein Aug’ in Tränen; stumm
Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. — Wie
Nun das zusammenhängt, enträtsle sich
Der Patriarche selbst.

KLOSTERBRUDER

Er schließt daraus,
Dass Gott zu großen, großen Dingen Euch
Müss' aufbehalten haben.

TEMPELHERR

Ja, zu großen!
Ein Judenmädchen aus dem Feu’r zu retten;
Auf Sinai neugier’ge Pilger zu
Geleiten, und dergleichen mehr.

KLOSTERBRUDER

Wird schon
Noch kommen! — Ist inzwischen auch nicht übel. —
Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits
Weit wicht’gere Geschäfte für den Herrn.

TEMPELHERR

So? Meint Ihr, Bruder? — Hat er gar Euch schon
Was merken lassen?

KLOSTERBRUDER

Ei, ja wohl! — Ich soll
Den Herrn nur erst ergründen, ob er so
Der Mann wohl ist.

TEMPELHERR

Nun ja, ergründet nur!
(Ich will doch sehn, wie *der* ergründet!) — Nun?

KLOSTERBRUDER

Das Kürz'ste wird wohl sein, dass ich dem Herrn
Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch
Eröffne.

TEMPELHERR

Wohl!

KLOSTERBRUDER

Er hätte durch den Herrn
Ein Briefchen gern bestellt.

TEMPELHERR

Durch mich? Ich bin
Kein Bote. — Das, das wäre das Geschäft,
Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen
Dem Feu’r entreißen?

KLOSTERBRUDER

Muss doch wohl! Denn — sagt
Der Patriarch — an diesem Briefchen sei
Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.
Dies Briefchen wohl bestellt zu haben — sagt
Der Patriarch — werd einst im Himmel Gott
Mit einer ganz besondem Krone lohnen.
Und dieser Krone — sagt der Patriarch —
Sei niemand würd’ger, als mein Herr.

TEMPELHERR

Als ich?

KLOSTERBRUDER

Denn diese Krone zu verdienen — sagt
Der Patriarch — sei schwerlich jemand auch
Geschickter, als mein Herr.

TEMPELHERR

Als ich?

KLOSTERBRUDER

Er sei
Hier frei; könn' überall sich hier besehn;
Versteh', wie eine Stadt zu stürmen und
Zu schirmen; könne — sagt der Patriarch —
Die Stärk’ und Schwäche der von Saladin
Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer
Am besten schätzen, sie am deutlichsten
Den Streitern Gottes — sagt der Patriarch —
Beschreiben.

TEMPELHERR

Guter Bruder, wenn ich doch
Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.

KLOSTERBRUDER

Ja den, — den weiß ich nun wohl nicht so recht.
Das Briefchen aber ist an König Philipp —
Der Patriarch … Ich hab mich oft gewundert,
Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz
Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet
Von Dingen dieser Welt zu sein herab
Sich lassen kann. Es muss ihm sauer werden.

TEMPELHERR

Nun denn? Der Patriarch? —

KLOSTERBRUDER

Weiß ganz genau,
Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,
Von welcher Seite Saladin, im Fall
Es völlig wieder los geht, seinen Feldzug
Eröffnen wird.

TEMPELHERR

Das weiß er?

KLOSTERBRUDER

Ja, und möcht
Es gern den König Philipp wissen lassen:
Damit der ungefähr ermessen könne,
Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um
Mit Saladin den Waffenstillstand,
Den Euer Orden schon so brav gebrochen,
Es koste was es wolle, wiederher-
Zustellen.

TEMPELHERR

Welch ein Patriarch! — Ja so!
Der liebe, tapfre Mann will mich zu keinem
Gemeinen Boten; will mich — zum Spion. —
Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder,
So viel Ihr mich ergründen können, wär
Das meine Sache nicht. — Ich müsse mich
Noch als Gefangenen betrachten; und
Der Tempelherren einziger Beruf
Sei, mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht
Kundschafterei zu treiben.

KLOSTERBRUDER

Dacht ich’s doch! —
Will's auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln.
Zwar kommt das Beste noch. — Der Patriarch
Hiernächst hat ausgegattert, wie die Veste
Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt,
In der die ungeheuren Summen stecken,
Mit welchen Saladins vorsicht’ger Vater
Das Heer besoldet, und die Zurüstungen
Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt
Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen
Nach dieser Veste sich, nur kaum begleitet. —
Ihr merkt doch?

TEMPELHERR

Nimmermehr!

KLOSTERBRUDER

Was wäre da
Wohl leichter, als des Saladins sich zu
Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? —
Ihr schaudert? — O es haben schon ein Paar
Gottsfürcht’ge Maroniten sich erboten,
Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,
Das Stück zu wagen.

TEMPELHERR

Und der Patriarch
Hätt auch zu diesem wackern Manne mich
Ersehn?

KLOSTERBRUDER

Er glaubt, dass König Philipp wohl
Von Ptolemais aus die Hand hierzu
Am besten bieten könne.

TEMPELHERR

Mir? mir, Bruder?
Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört,
Was für Verbindlichkeit dem Saladin
Ich habe?

KLOSTERBRUDER

Wohl hab ich’s gehört.

TEMPELHERR

Und doch?

KLOSTERBRUDER

Ja — meint der Patriarch — das wär’ schon gut;
Gott aber und der Orden …

TEMPELHERR

Ändern nichts!
Gebieten mir kein Bubenstück!

KLOSTERBRUDER

Gewiss nicht! —
Nur — meint der Patriarch — sei Bubenstück
Vor Menschen nicht auch Bubenstück vor Gott.

TEMPELHERR

Ich wär dem Saladin mein Leben schuldig:
Und raubt ihm seines?

KLOSTERBRUDER

Pfui! — Doch bliebe — meint
Der Patriarch — noch immer Saladin
Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
Zu sein, kein Recht erwerben könne.

TEMPELHERR

Freund?
An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden,
Zum undankbaren Schurken?

KLOSTERBRUDER

Allerdings! —
Zwar — meint der Patriarch — des Dankes sei
Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns
Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.
Und da verlauten wolle — meint der Patriarch —
Dass Euch nur darum Saladin begnadet,
Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen,
So was von seinem Bruder eingeleuchtet …

TEMPELHERR

Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? —
Ah! wäre das gewiss! Ah, Saladin! —
Wie? die Natur hätt auch nur Einen Zug
Von mir in deines Bruders Form gebildet:
Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
Was dem entspräche, könnt ich unterdrücken,
Um einem Patriarchen zu gefallen? —
Natur, so lügst du nicht! So widerspricht
Sich Gott in seinen Werken nicht! — Geht, Bruder! —
Erregt mir meine Galle nicht! — Geht! geht!

KLOSTERBRUDER

Ich geh; und geh vergnügter als ich kam.
Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.

 

SECHSTER AUFTRITT

/ Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eine Zeitlang von weitem beobachtet hatte, und sich nun ihm nähert. /

DAJA

Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in
Der besten Laun' ihn nicht. — Doch muss ich mein
Paket nur wagen.

TEMPELHERR

Nun, vortrefflich! — Lügt
Das Sprichwort wohl: dass Mönch und Weib, und Weib
Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?
Er wirft mich heut aus einer in die andre.

DAJA

Was seh ich? — Edler Ritter! Euch? — Gott Dank!
Gott tausend Dank! — Wo habt Ihr denn
Die ganze Zeit gesteckt? — Ihr seid doch wohl
Nicht krank gewesen?

TEMPELHERR

Nein.

DAJA

Gesund doch?

TEMPELHERR

Ja.

DAJA

Wir waren Euertwegen wahrlich ganz
Bekümmert.

TEMPELHERR

So?

DAJA

Ihr wart gewiss verreist?

TEMPELHERR

Erraten!

DAJA

Und kamt heut erst wieder?

TEMPELHERR

Gestern.

DAJA

Auch Recha’s Vater ist heut angekommen.
Und nun darf Recha doch wohl hoffen?

TEMPELHERR

Was?

DAJA

Warum sie Euch so öfters bitten lassen.
Ihr Vater ladet Euch nun selber bald
Aufs dringlichste. Er kommt von Babylon,
Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,
Und allem, was an edeln Spezereien,
An Steinen und an Stoffen, Indien
Und Persien und Syrien, gar Sina,
Kostbares nur gewähren.

TEMPELHERR

Kaufe nichts.

DAJA

Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
Doch dass es ihn den *weisen* Nathan nennt,
Und nicht vielmehr den *reichen*, hat mich oft
Gewundert.

TEMPELHERR

Seinem Volk ist reich und weise
Vielleicht das Nämliche.

DAJA

Vor allem aber
Hätt’s ihn den Guten nennen müssen. Denn
Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.
Als er erfuhr, wie viel Euch Recha schuldig:
Was hätt, in diesem Augenblicke, nicht
Er alles Euch getan, gegeben!

TEMPELHERR

Ei!

DAJA

Versucht's, und kommt und seht!

TEMPELHERR

Was denn? Wie schnell
Ein Augenblick vorüber ist?

DAJA

Hätt ich,
Wenn er so gut nicht wär, es mir so lange
Bei ihm gefallen lassen! Meint Ihr etwa,
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
Auch mir ward’s vor der Wiege nicht gesungen,
Dass ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd, um da
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht
In Kaiser Friedrichs Heere —

TEMPELHERR

Von Geburt
Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward,
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
In einem Flusse zu ersaufen. — Weib!
Wie vielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
Hört Ihr denn gar nicht auf, mich zu verfolgen?

DAJA

Verfolgen! Lieber Gott!

TEMPELHERR

Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht,
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich mich vorher erkund — und brennen lasse,
Was brennt.

DAJA

Bewahre Gott!

TEMPELHERR

Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch lasst
Den Vater mir vom Halse. Jud’ ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele, wenn es je
Da war.

DAJA

Doch Eures ist aus ihrer nicht.

TEMPELHERR

Was soll’s nun aber da? was soll’s?

DAJA

Wer weiß!
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.

TEMPELHERR

Doch selten etwas Bessers.

/ Er geht. /

DAJA

Wartet doch!
Was eilt Ihr?

TEMPELHERR

Weib, macht mir die Palmen nicht
Verhasst, worunter ich so gern sonst wandle.

DAJA

So geh, du deutscher Bär! so geh! — Und doch
Muss ich die Spur des Tieres nicht verlieren.

/ Sie geht ihm von weitem nach. /

 

ZWEITER AUFZUG

 

ERSTER AUFTRITT

/ Szene: des Sultans Palast. Saladin und Sittah spielen Schach. /

SITTAH

Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?

SALADIN

Nicht gut? Ich dächte doch.

SITTAH

Für mich; und kaum.
Nimm diesen Zug zurück.

SALADIN

Warum?

SITTAH

Der Springer
Wird unbedeckt.

SALADIN

Ist wahr. Nun so!

SITTAH

So zieh
Ich in die Gabel.

SALADIN

Wieder wahr. — Schach dann!

SITTAH

Was hilft dir das? Ich setze vor, und du
Bist, wie du warst.

SALADIN

Aus dieser Klemme, seh
Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
Mag's! Nimm den Springer nur.

SITTAH

Ich will ihn nicht.
Ich geh vorbei.

SALADIN

Du schenkst mir nichts. Dir liegt
An diesem Platze mehr, als an dem Springer.

SITTAH

Kann sein.

SALADIN

Mach deine Rechnung nur nicht ohne
Den Wirt. Denn sieh! Was gilt’s, das warst du nicht
Vermuten?

SITTAH

Freilich nicht. Wie konnt ich auch
Vermuten, dass du deiner Königin
So müde wärst?

SALADIN

Ich meiner Königin?

SITTAH

Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend
Dinar, kein Naserinchen mehr gewinnen.

SALADIN

Wieso?

SITTAH

Frag noch! — Weil du mit Fleiß, mit aller
Gewalt verlieren willst. — Doch dabei find
Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, dass
Ein solches Spiel das unterhaltendste
Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
Mit dir, wenn ich verlor? Wann hast du mir
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?

SALADIN

Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?

SITTAH

Zum wenigsten kann gar wohl sein, dass deine
Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen,
Schuld ist, dass ich nicht besser spielen lernen.

SALADIN

Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!

SITTAH

So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!

SALADIN

Nun freilich, dieses Abschach hab ich nicht
Gesehn, das meine Königin zugleich
Mit niederwirft.

SITTAH

War dem noch abzuhelfen?
Lass sehn.

SALADIN

Nein, nein; nimm nur die Königin.
Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.

SITTAH

Bloß mit dem Steine?

SALADIN

Fort damit! — Das tut
Mir nichts. Denn so ist alles wiederum
Geschützt.

SITTAH

Wie höflich man mit Königinnen
Verfahren müsse: hat mein Bruder mich
Zu wohl gelehrt.

/ Sie lässt sie stehen. /

SALADIN

Nimm, oder nimm sie nicht!
Ich habe keine mehr.

SITTAH

Wozu sie nehmen?
Schach! — Schach!

SALADIN

Nur weiter.

SITTAH

Schach! — und Schach! — und Schach! —

SALADIN

Und matt!

SITTAH

Nicht ganz; du ziehst den Springer noch
Dazwischen, oder was du machen willst.
Gleichviel!

SALADIN

Ganz recht! — Du hast gewonnen, und
Al-Hafi zahlt. Man lass’ ihn rufen! gleich! —
Du hattest, Sittah, nicht so Unrecht: ich
War nicht so ganz beim Spiele, war zerstreut.
Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine
Beständig, die an nichts erinnern, nichts
Bezeichnen? Hab ich mit dem Iman denn
Gespielt? — Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht
Die ungeformten Steine, Sittah, sind’s,
Die mich verlieren machten: deine Kunst,
Dein ruhiger und schneller Blick.

SITTAH

Auch so
Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.
Genug, du warst zerstreut, und mehr als ich.

SALADIN

Als du? Was hätte dich zerstreuet?

SITTAH

Deine
Zerstreuung freilich nicht! — O Saladin,
Wann werden wir so fleißig wieder spielen!

SALADIN

So spielen wir um so viel gieriger! —
Ah! weil es wieder losgeht, meinst du? — Mag's! —
Nur zu! — Ich habe nicht zuerst gezogen;
Ich hätte gern den Stillestand aufs Neue
Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
Gern einen guten Mann zugleich verschafft.
Und das muss Richards Bruder sein: er ist
Ja Richards Bruder.

SITTAH

Wenn du deinen Richard
Nur loben kannst!

SALADIN

Wenn unserm Bruder Melek
Dann Richards Schwester wär zu Teile worden:
Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,
Der besten Häuser in der Welt das beste! —
Du hörst, ich bin mich selbst zu loben auch
Nicht faul. Ich dünk mich meiner Freunde wert. —
Das hätte Menschen geben sollen! das!

SITTAH

Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
Selbst das, was noch von ihrem Stifter her,
Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
Weil’s Christus lehrt; weil’s Christus hat getan. —
Wohl ihnen, dass er ein so guter Mensch
Noch war: Wohl ihnen, dass sie seine Tugend
Auf Treu und Glauben nehmen können! — Doch
Was Tugend? — Seine Tugend nicht; sein Name
Soll überall verbreitet werden; soll
Die Namen aller guten Menschen schänden,
Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
Ist ihnen nur zu tun.

SALADIN

Du meinst: warum
Sie sonst verlangen würden, dass auch ihr,
Auch du und Melek, Christen hießet, eh
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?

SITTAH

Ja wohl! Als wär von Christen nur, als Christen,
Die Liebe zu gewärtigen, womit
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!

SALADIN

Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
Als dass sie *die* nicht auch noch glauben könnten! —
Und gleichwohl irrst du dich. — Die Tempelherren,
Die Christen nicht, sind Schuld: sind nicht, als Christen,
Als Tempelherren Schuld. Durch *die* allein
Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca,
Das Richards Schwester unserm Bruder Melek
Zum Brautschatz bringen müsste, schlechterdings
Nicht fahren lassen. Dass des Ritters Vorteil
Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch,
Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge
Ein guter Streich gelänge, haben sie
Des Waffenstillestandes Ablauf kaum
Erwarten können. — Lustig! Nur so weiter!
Ihr Herren, nur so weiter! — Mir schon recht!
Wär alles sonst nur, wie es müsste.

SITTAH

Nun
Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst
Dich aus der Fassung bringen?

SALADIN

Was von je
Mich immer aus der Fassung hat gebracht.
Ich war auf Libanon, bei unserm Vater.
Er unterliegt den Sorgen noch …

SITTAH

O weh!

SALADIN

Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten;
Es fehlt bald da, bald dort —

SITTAH

Was klemmt? Was fehlt?

SALADIN

Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd’ge?
Was, wenn ich’s habe, mir so überflüssig,
Und hab ich’s nicht, so unentbehrlich scheint.
Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach
Ihm aus? — Das leidige, verwünschte Geld! —
Gut, Hafi, dass du kömmst.

 

ZWEITER AUFTRITT

/ Der Derwisch Al-Hafi. Saladin. Sittah. /

AL-HAFI

Die Gelder aus
Ägypten sind vermutlich angelangt.
Wenn’s nur fein viel ist.

SALADIN

Hast du Nachricht?

AL-HAFI

Ich?
Ich nicht. Ich denke; dass ich hier sie in
Empfang soll nehmen.

SALADIN

Zahl an Sittah tausend
Dinare!

/ In Gedanken hin und her gehend. /

AL-HAFI

Zahl! anstatt, empfang! O schön!
Das ist für Was noch weniger als Nichts. —
An Sittah? — wiederum an Sittah? Und
Verloren? — wiederum im Schach verloren? —
Da steht es noch, das Spiel!

SITTAH

Du gönnst mir doch
Mein Glück?

AL-HAFI

/ das Spiel betrachtend /

Was gönnen? Wenn — Ihr wißt ja wohl.

SITTAH

/ ihm winkend /

Bst! Hafi! bst!

AL-HAFI

/ noch auf das Spiel gerichtet /

Gönnt's Euch nur selber erst!

SITTAH

Al-Hafi, bst!

AL-HAFI

/ zu Sittah /

Die Weißen waren Euer?
Ihr bietet Schach?

SITTAH

Gut, dass er nichts gehört.

AL-HAFI

Nun ist der Zug an ihm?

SITTAH

/ ihm näher tretend /

So sage doch,
Dass ich mein Geld bekommen kann.

AL-HAFI

/ noch auf das Spiel geheftet /

Nun ja;
Ihr sollt’s bekommen, wie Ihr’s stets bekommen.

SITTAH

Wie? bist du toll?

AL-HAFI

Das Spiel ist ja nicht aus.
Ihr habt ja nicht verloren, Saladin.

SALADIN

/ kaum hinhörend /

Doch! doch! Bezahl! bezahl!

AL-HAFI

Bezahl! bezahl!
Da steht ja Eure Königin.

SALADIN

/ noch so /

Gilt nicht;
Gehört nicht mehr ins Spiel.

SITTAH

So mach, und sag,
Dass ich das Geld mir nur kann holen lassen.

AL-HAFI

/ noch immer in das Spiel vertieft /

Versteht sich, so wie immer. — Wenn auch schon;
Wenn auch die Königin nichts gilt: Ihr seid
Doch darum noch nicht matt.

SALADIN

/ tritt hinzu und wirft das Spiel um /

Ich bin es, will
Es sein.

AL-HAFI

Ja so! — Spiel wie Gewinst! So wie
Gewonnen, so bezahlt.

SALADIN

/ zu Sittah /

Was sagt er? was?

SITTAH

/ von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend /

Du kennst ihn ja. Er sträubt sich gern; lässt gern
Sich bitten; ist wohl gar ein wenig neidisch. —

SALADIN

Auf dich doch nicht? Auf meine Schwester nicht? —
Was hör ich, Hafi? Neidisch, du?

AL-HAFI

Kann sein!
Kann sein! — Ich hätt ihr Hirn wohl lieber selbst;
Wär lieber selbst so gut, als sie.

SITTAH

Indes
Hat er doch immer richtig noch bezahlt.
Und wird auch heut bezahlen. Lass ihn nur!
Geh nur, Al-Hafi, geh! Ich will das Geld
Schon holen lassen.

AL-HAFI

Nein, ich spiele länger
Die Mummerei nicht mit. Er muss es doch
Einmal erfahren.

SALADIN

Wer? und was?

SITTAH

Al-Hafi!
Ist dieses dein Versprechen? Hältst du so
Mir Wort?

AL-HAFI

Wie konnt ich glauben, dass es so
Weit gehen würde.

SALADIN

Nun? erfahr ich nichts?

SITTAH

Ich bitte dich, Al-Hafi, sei bescheiden.

SALADIN

Das ist doch sonderbar! Was könnte Sittah
So feierlich, so warm bei einem Fremden,
Bei einem Derwisch lieber, als bei mir,
Bei ihrem Bruder, sich verbitten wollen.
Al-Hafi, nun befehl ich. — Rede, Derwisch!

SITTAH

Lass eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir
Nicht näher treten, als sie würdig ist,
Du weißt, ich habe zu verschiednen Malen
Dieselbe Summ' im Schach von dir gewonnen.
Und weil ich jetzt das Geld nicht nötig habe;
Weil jetzt in Hafis Kasse doch das Geld
Nicht eben allzu häufig ist, so sind
Die Posten stehn geblieben. Aber sorgt
Nur nicht! Ich will sie weder dir, mein Bruder,
Noch Hafi, noch der Kasse schenken.

AL-HAFI

Ja,
Wenn’s das nur wäre! das!

SITTAH

Und mehr dergleichen. —
Auch das ist in der Kasse stehn geblieben,
Was du mir einmal ausgeworfen; ist
Seit wenig Monden stehn geblieben.

AL-HAFI

Noch
Nicht alles.

Saladin.

Noch nicht? — Wirst du reden?

AL-HAFI

Seit aus Ägypten wir das Geld erwarten,
Hat sie …

SITTAH

/ zu Saladin /

Wozu ihn hören?

AL-HAFI

Nicht nur Nichts
Bekommen …

SALADIN

Gutes Mädchen! — Auch beiher
Mit vorgeschossen. Nicht?

AL-HAFI

Den ganzen Hof
Erhalten; Euern Aufwand ganz allein
Bestritten.

SALADIN

Ha! das, das ist meine Schwester!

/ Sie umarmend. /

SITTAH

Wer hatte, dies zu können, mich so reich
Gemacht, als du, mein Bruder?

AL-HAFI

Wird schon auch
So bettelarm sie wieder machen, als
Er selber ist.

SALADIN

Ich arm? Der Bruder arm?
Wann hab ich mehr? wann weniger gehabt? —
Ein Kleid, ein Schwert, ein Pferd — und *einen* Gott! —
Was brauch ich mehr? wann kann's an dem mir fehlen?
und doch, Al-Hafi, könnt ich mit dir schelten.

SITTAH

Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unserm Vater
Auch seine Sorgen so erleichtern könnte!

SALADIN

Ah! Ah! Nun schlägst du meine Freudigkeit
Auf einmal wieder nieder! — Mir, für mich
Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm,
Ihm fehlet; und in ihm uns allen. — Sagt,
Was soll ich machen? — Aus Ägypten kommt
Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt,
Weiß Gott. Es ist doch da noch alles ruhig. —
Abbrechen, einziehn, sparen, will ich gern,
Mir gern gefallen lassen, wenn es mich,
Bloß mich betrifft; bloß ich, und niemand sonst
Darunter leidet. — Doch was kann das machen?
Ein Pferd, ein Kleid, ein Schwert, muß ich doch haben.
Und meinem Gott ist auch nichts abzudingen.
Ihm g’nügt schon so mit wenigem genug;
Mit meinem Herzen. — Auf den Überschuss
Von deiner Kasse, Hafi, hatt ich sehr
Gerechnet.

AL-HAFI

Überschuss? — Sagt selber, ob
Ihr mich nicht hättet spießen, wenigstens
Mich drosseln lassen, wenn auf Überschuss
Ich von Euch wär ergriffen worden. Ja,
Auf Unterschleif! das war zu wagen.

SALADIN

Nun,
Was machen wir denn aber? — Konntest du
Vorerst bei niemand anderm borgen, als
Bei Sittah?

SITTAH

Würd ich dieses Vorrecht, Bruder,
Mir haben nehmen lassen? Mir von ihm?
Auch noch besteh ich drauf. Noch bin ich auf
Dem Trocknen völlig nicht.

SALADIN

Nur völlig nicht!
Das fehlte noch! — Geh gleich, mach Anstalt, Hafi!
Nimm auf, bei wem du kannst! und wie du kannst!
Geh, borg, versprich. — Nur, Hafi, borge nicht
Bei denen, die ich reich gemacht. Denn borgen
Von diesen, möchte wiederfordern heißen.
Geh zu den Geizigsten; die werden mir
Am liebsten leihen. Denn sie wissen wohl,
Wie gut ihr Geld in meinen Händen wuchert.

AL-HAFI

Ich kenne deren keine.

SITTAH

Eben fällt
Mir ein, gehört zu haben, Hafi, dass
Dein Freund zurückgekommen.

AL-HAFI

/ betroffen /

Freund? mein Freund?
Wer wär denn das?

SITTAH

Dein hochgepriesner Jude.

AL-HAFI

Gepriesner Jude? hoch von mir?

SITTAH

Dem Gott, —
Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst
Du selber dich von ihm bedientest, — dem
Sein Gott von allen Gütern dieser Welt
Das Kleinst’ und Größte so in vollem Maß
Erteilet habe. —

AL-HAFI

Sagt’ ich so? — Was meint
Ich denn damit?

SITTAH

Das Kleinste: Reichtum. Und
Das Größte: Weisheit.

AL-HAFI

Wie? von einem Juden?
Von einem Juden hätt ich das gesagt?

SITTAH

Das hättest du von deinem Nathan nicht
Gesagt?

AL-HAFI

Ja so! von dem! vom Nathan! — Fiel
Mir der doch gar nicht bei. — Wahrhaftig? Der
Ist endlich wieder heim gekommen? Ei!
So mag’s doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn. —
Ganz recht: den nannt einmal das Volk den Weisen!
Den Reichen auch.

SITTAH

Den Reichen nennt es ihn
Jetzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt,
Was er für Kostbarkeiten! was für Schätze
Er mitgebracht.

AL-HAFI

Nun, ist’s der Reiche wieder:
So wird’s auch wohl der Weise wieder sein.

SITTAH

Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?

AL-HAFI

Und was bei ihm? — Doch wohl nicht borgen? — Ja,
Da kennt Ihr ihn! — Er borgen! — Seine Weisheit
Ist eben, dass er niemand borgt.

SITTAH

Du hast
Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm
Gemacht.

AL-HAFI

Zur Not wird er Euch Waren borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. — Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie’s nicht
Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten,
Vor allen andern Juden aus. — Auf den,
Auf den nur rechnet nicht. — Den Armen gibt
Er zwar, und gibt vielleicht trotz Saladin;
Wenn schon nicht ganz so viel, doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn, Jud’ und Christ
Und Muselmann und Parsi, alles ist
Ihm eins.

SITTAH

Und so ein Mann…

SALADIN

Wie kommt es denn,
Dass ich von diesem Manne nie gehört? …

SITTAH

Der sollte Saladin nicht borgen? nicht
Dem Saladin, der nur für andre braucht,
Nicht sich?

AL-HAFI

Da seht nun gleich den Juden wieder;
Den ganz gemeinen Juden! — Glaubt mir’s doch! —
Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig,
So neidisch! Jedes *Lohn von Gott*, das in
Der Welt gesagt wird, zög er lieber ganz
Allein. Nur darum eben leiht er keinem,
Damit er stets zu geben habe. Weil
Die Mild' ihm im Gesetz geboten, die
Gefälligkeit ihm aber nicht geboten, macht
Die Mild’ ihn zu dem ungefälligsten
Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit
Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß
Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, dass ich
Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige.
Er ist zu allem gut, bloß dazu nicht;
Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich
Nur gehn, an andre Türen klopfen … Da
Besinn ich mich so eben eines Mohren,
Der reich und geizig ist. — Ich geh, ich geh.

SITTAH

Was eilst du, Hafi?

SALADIN

Lass ihn! lass ihn!

 

DRITTER AUFTRITT

/ Sittah. Saladin. /

SITTAH

Eilt
Er doch, als ob er mir nur gern entkäme! —
Was heißt das? — Hat er wirklich sich in ihm
Betrogen, oder — möcht er uns nur gern
Betrügen?

SALADIN

Wie? das fragst du mich? Ich weiß
Ja kaum, von wem die Rede war; und höre
Von eurem Juden, eurem Nathan, heut
Zum ersten Mal.

SITTAH

Ist’s möglich, dass ein Mann
Dir so verborgen blieb, von dem es heißt,
Er habe Salomons und Davids Gräber
Erforscht, und wisse deren Siegel durch
Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen?
Aus ihnen bring’ er dann von Zeit zu Zeit
Die unermesslichen Reichtümer an
Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.

SALADIN

Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Gräbern,
So waren’s sicherlich nicht Salomons,
Nicht Davids Gräber. Narren lagen da
Begraben!

SITTAH

Oder Bösewichter! — Auch
Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger,
Weit unerschöpflicher, als so ein Grab
Voll Mammon.

SALADIN

Denn er handelt, wie ich hörte.

SITTAH

Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht
Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen
In allen Häfen. Das hat mir wohl eh'
Al-Hafi selbst gesagt, und voll Entzücken
Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser
Sein Freund anwende, was so klug und emsig
Er zu erwerben für zu klein nicht achte;
Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen
Sein Geist, sein Herz wie offen jeder Tugend,
Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.

SALADIN

Und jetzt sprach Hafi doch so ungewiss,
So kalt von ihm.

SITTAH

Kalt nun wohl nicht; verlegen,
Als halt' er’s für gefährlich, ihn zu loben,
Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln.
Wie? oder wär es wirklich so, dass selbst
Der Beste seines Volkes seinem Volke
Nicht ganz entfliehen kann? dass wirklich sich
Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite
Zu schämen hätte? — Sei dem, wie ihm wolle! —
Der Jude sei mehr oder weniger
Als Jud’, ist er nur reich: genug für uns!

SALADIN

Du willst ihm aber doch das Seine mit
Gewalt nicht nehmen, Schwester?

SITTAH

Ja, was heißt
Bei dir Gewalt? Mit Feu’r und Schwert? Nein! nein!
Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt,
Als ihre Schwäche? — Komm für jetzt nur mit
In meinen Harem, eine Sängerin
Zu hören, die ich gestern erst gekauft.
Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag,
Den ich auf diesen Nathan habe. — Komm!

 

VIERTER AUFTRITT

/ Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt. Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja. /

RECHA

Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er
Wird kaum noch mehr zu treffen sein.

NATHAN

Nun, nun;
Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr:
Doch anderwärts. — Sei jetzt nur ruhig. — Sieh!
Kommt dort nicht Daja auf uns zu?

RECHA

Sie wird
Ihn ganz gewiss verloren haben.

NATHAN

Auch
Wohl nicht.

RECHA

Sie würde sonst geschwinder kommen.

NATHAN

Sie hat uns wohl noch nicht gesehn …

RECHA

Nun sieht
Sie uns.

NATHAN

Und doppelt ihre Schritte. Sieh!
Sei doch nur ruhig! ruhig!

RECHA

Wolltet Ihr
Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre?
Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat
Ihr Leben sei? Ihr Leben, — das ihr nur
So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.

NATHAN

Ich möchte dich nicht anders, als du bist:
Auch wenn ich wüßte, dass in deiner Seele
Ganz etwas anders noch sich rege.

RECHA

Was,
Mein Vater?

NATHAN

Fragst du mich? so schüchtern mich?
Was auch in deinem Innern vorgeht, ist
Natur und Unschuld. Lass es keine Sorge
Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur
Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher
Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen
Zu bergen.

RECHA

Schon die Möglichkeit, mein Herz
Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.

NATHAN

Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal
Ist abgetan. — Da ist ja Daja. — Nun?

DAJA

Noch wandelt er hier untern Palmen, und
Wird gleich um jene Mauer kommen. — Seht,
Da kommt er!

RECHA

Ah! und scheinet unentschlossen,
Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts?
Ob links?

DAJA

Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster
Gewiss noch öfter, und dann muss er hier
Vorbei. — Was gilt’s?

RECHA

Recht! recht! — Hast du ihn schon
Gesprochen? Und wie ist er heut?

DAJA

Wie immer.

NATHAN

So macht nur, dass er Euch hier nicht gewahr
Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz
Hinein.

RECHA

Nur einen Blick noch! — Ah! die Hecke,
Die mir ihn stiehlt!

DAJA

Kommt! kommt! Der Vater hat
Ganz recht Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht,
Dass auf der Stell' er umkehrt.

RECHA

Ah! die Hecke!

NATHAN

Und kommt er plötzlich dort aus ihr hervor,
So kann er anders nicht, er muss Euch sehen.
Drum geht doch nur!

DAJA

Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster,
Aus dem wir sie bemerken können.

RECHA

Ja?

/ Beide hinein. /

 

FÜNFTER AUFTRITT

/ Nathan und bald darauf der Tempelherr. /

NATHAN

Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht
Mich seine rauhe Tugend stutzen. Dass
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen
Soll machen können! — Ha! er kommt. — Bei Gott!
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl,
Den guten, trotz’gen Blick! den drallen Gang!
Die Schale kann nur bitter sein: der Kern
Ist’s sicher nicht. — Wo sah ich doch dergleichen? —
Verzeihet, edler Franke …

TEMPELHERR

Was?

NATHAN

Erlaubt…

TEMPELHERR

Was, Jude? was?

NATHAN

Dass ich mich untersteh,
Euch anzureden.

TEMPELHERR

Kann ich’s wehren? Doch
Nur kurz!

NATHAN

Verzieht, und eilet nicht so stolz,
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.

TEMPELHERR

Wie das? — Ah, fast errat ich’s. Nicht? Ihr seid …

NATHAN

Ich heiße Nathan, bin des Mädchens Vater,
Das Eure Großmut aus dem Feu’r gerettet;
Und komme …

TEMPELHERR

Wenn zu danken: — spart’s! Ich hab
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon
Zu viel erdulden müssen. — Vollends Ihr,
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wusst ich denn
Dass dieses Mädchen Eure Tochter war?
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem Ersten
Dem Besten beizuspringen, dessen Not
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem
In diesem Augenblicke lästig. Gern,
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,
Es für ein andres Leben in die Schanze
Zu schlagen: für ein andres — wenn’s auch nur
Das Leben einer Jüdin wäre.

NATHAN

Groß!
Groß und abscheulich! — Doch die Wendung lässt
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet
Sich hinter das Abscheuliche, um der
Bewundrung auszuweichen. — Aber wenn
Sie so das Opfer der Bewunderung
Verschmäht, was für ein Opfer denn verschmäht
Sie minder? — Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd
Und nicht gefangen wäret, würd ich Euch
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit
Kann man Euch dienen?

TEMPELHERR

Ihr? Mit nichts.

NATHAN

Ich bin
Ein reicher Mann.

TEMPELHERR

Der reichre Jude war
Mir nie der bessre Jude.

NATHAN

Dürft Ihr denn
Darum nicht nützen, was dem ungeachtet
Er Besseres hat? nicht seinen Reichtum nützen?

TEMPELHERR

Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden,
Um meines Mantels willen nicht. Sobald
Der ganz und gar verschlissen, weder Stich
Noch Fetze länger halten will: komm ich
Und borge mir bei Euch zu einem neuen
Tuch oder Geld. — Seht nicht mit eins so finster!
Noch seid Ihr sicher; noch ist’s nicht so weit
Mit ihm. Ihr seht, er ist so ziemlich noch
Im Stande. Nur der eine Zipfel da
Hat einen garst’gen Fleck: er ist versengt.
Und das bekam er, als ich Eure Tochter
Durchs Feuer trug.

NATHAN

/ der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet /

Es ist doch sonderbar,
Dass so ein böser Fleck, dass so ein Brandmal
Dem Mann ein bessres Zeugnis redet, als
Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich
Den Flecken! — Ah, verzeiht! — Ich tat es ungern.

TEMPELHERR

Was?

NATHAN

Eine Träne fiel darauf.

TEMPELHERR

Tut nichts!
Er hat der Tropfen mehr. — (Bald aber fängt
Mich dieser Jud' an zu verwirren.)

NATHAN

Wärt
Ihr wohl so gut und schicktet Euerm Mantel
Auch einmal meinem Mädchen?

TEMPELHERR

Was damit?

NATHAN

Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken.
Denn Eure Kniee selber zu umfassen,
Wünscht sie nun wohl vergebens.

TEMPELHERR

Aber, Jude —
Ihr heißet Nathan? — Aber, Nathan — Ihr
Setzt Eure Worte sehr — sehr gut — sehr spitz —
Ich bin betreten — Allerdings — ich hätte …

NATHAN

Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find
Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,
Um höflicher zu sein. — Das Mädchen, ganz
Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz
Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt —
Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;
Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.
Auch dafür dank ich Euch —

TEMPELHERR

Ich muss gestehn,
Ihr wisst, wie Tempelherren denken sollten.

NATHAN

Nur Tempelherren? *sollten* bloß? und bloß,
Weil es die Ordensregeln so gebieten?
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
Dass alle Länder gute Menschen tragen.

TEMPELHERR

Mit Unterschied doch hoffentlich?

NATHAN

Jawohl;
An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.

TEMPELHERR

Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

NATHAN

Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her.
Der große Mann braucht überall viel Boden;
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,
Find’t sich hingegen überall in Menge.
Nur muss der eine nicht den andern mäkeln.
Nur muss der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.
Nur muss ein Gipfelchen sich nicht vermessen,
Dass es allein der Erde nicht entschossen.

TEMPELHERR

Sehr wohl gesagt! — Doch kennt Ihr auch das Volk,
Das diese Menschenmäkelei zuerst
Getrieben? Wisst Ihr, Nathan, welches Volk
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht hasste,
Doch wegen seines Stolzes zu verachten
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes,
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sei der rechte Gott! — Ihr stutzt,
Dass ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als jetzt? Wem hier, wem jetzt
Die Schuppen nicht vom Auge fallen … Doch
Sei blind, wer will! — Vergesst, was ich gesagt,
Und lasst mich!

/ Will gehen. /

NATHAN

Ha! Ihr wisst nicht, wie viel fester
Ich nun mich an Euch drängen werde. — Kommt,
Wir müssen, müssen Freunde sein! — Verachtet
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir etwa unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Mensch
Zu heißen!

TEMPELHERR

Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!
Das habt Ihr! — Eure Hand! — Ich schäme mich,
Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

NATHAN

Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine
Verkennt man selten.

TEMPELHERR

Und das Seltene
Vergisst man schwerlich. — Nathan, ja,
Wir müssen, müssen Freunde werden.

NATHAN

Sind
Es schon. — Wie wird sich meine Recha freuen! —
Und ah! welch eine heitre Ferne schließt
Sich meinen Blicken auf! — Kennt sie nur erst!

TEMPELHERR

Ich brenne vor Verlangen. — Wer stürzt dort
Aus Eurem Hause? Ist’s nicht ihre Daja?

NATHAN

Jawohl. So ängstlich?

TEMPELHERR

Unsrer Recha ist
Doch nichts begegnet?

 

SECHSTER AUFTRITT

/ Die Vorigen und Daja eilig. /

DAJA

Nathan! Nathan!

NATHAN

Nun?

DAJA

Verzeihet, edler Ritter, dass ich Euch
Muss unterbrechen.

NATHAN

Nun, was ist’s?

TEMPELHERR

Was ist’s?

DAJA

Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will
Euch sprechen. Gott, der Sultan!

NATHAN

Mich? Der Sultan?
Er wird begierig sein, zu sehen, was
Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei
Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.

DAJA

Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen,
Euch in Person, und bald, so bald Ihr könnt.

NATHAN

Ich werde kommen. — Geh nur wieder, geh!

DAJA

Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter. —
Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan
Doch will.

NATHAN

Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!

 

SIEBENTER AUFTRITT

/ Nathan und der Tempelherr. /

TEMPELHERR

So kennt Ihr ihn noch nicht? — Ich meine, von
Person.

NATHAN

Den Saladin? Noch nicht. Ich habe
Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen.
Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut
Von ihm, dass ich nicht lieber glauben wollte,
Als sehn. Doch nun — wenn anders dem so ist —
Hat er durch Sparung Eures Lebens …

TEMPELHERR

Ja;
Dem allerdings ist so. Das Leben, das
Ich leb, ist sein Geschenk.

NATHAN

Durch das er mir
Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies
Hat alles zwischen uns verändert; hat
Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das
Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum,
Und kaum kann ich es nun erwarten, was
Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin
Bereit zu allem; bin bereit ihm zu
Gestehn, dass ich es Euertwegen bin.

TEMPELHERR

Noch hab ich selber ihm nicht danken können,
So oft ich auch ihm in den Weg getreten.
Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam
So schnell, als schnell er wiederum verschwunden.
Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert.
Und dennoch muss er, einmal wenigstens,
Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal
Ganz zu entscheiden. Nicht genug, dass ich
Auf sein Geheiß noch bin, *mit* seinem Willen
Noch leb: ich muss nun auch von ihm erwarten,
*Nach* wessen Willen ich zu leben habe.

NATHAN

Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. —
Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch
Zu kommen, Anlass gibt. — Erlaubt, verzeiht —
Ich eile. — Wann, wann aber sehn wir Euch
Bei uns?

TEMPELHERR

Sobald ich darf.

NATHAN

Sobald Ihr wollt.

TEMPELHERR

Noch heut.

NATHAN

Und Euer Name? — muss ich bitten.

TEMPELHERR

Mein Name war — ist Curd von Stauffen. — Curd! Nathan.

NATHAN

Von Stauffen? — Stauffen? — Stauffen?

TEMPELHERR

Warum fällt
Euch das so auf?

NATHAN

Von Stauffen? — Des Geschlechts
Sind wohl schon mehrere …

TEMPELHERR

O ja! hier waren,
Hier faulen des Geschlechts schon mehrere.
Mein Oheim selbst — mein Vater will ich sagen —
Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich
Je mehr und mehr?

NATHAN

O nichts! o nichts! Wie kann
Ich Euch zu sehn ermüden?

TEMPELHERR

Drum verlass
Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand
Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.
Ich fürcht ihn, Nathan. Lasst die Zeit allmählich,
Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.

/ Er geht. /

NATHAN

/ der ihm mit Erstaunen nachsieht) /

„Der Forscher fand nicht selten mehr, als er
Zu finden wünschte.” — Ist es doch, als ob
In meiner Seel’ er lese! — Wahrlich ja,
Das könnt auch mir begegnen. — Nicht allein
Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme . So,
Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf;
Trug Wolf sogar das Schwert im Arm; strich Wolf
Sogar die Augenbraunen mit der Hand,
Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. —
Wie solche tiefgeprägte Bilder doch
Zu Zeiten in uns schlafen können, bis
Ein Wort, ein Laut sie weckt! — Von Stauffen! —
Ganz recht, ja, ja! ganz recht; Filnek und Stauffen. —
Ich will das bald genauer wissen, bald.
Nur erst zum Saladin. — Doch wie? lauscht dort
Nicht Daja? — Nun, so komm nur näher, Daja.

 

ACHTER AUFTRITT

/ Daja. Nathan. /

NATHAN

Was gilt’s? nun drückt’s euch beiden schon das Herz,
Noch ganz was anders zu erfahren, als
Was Saladin mir will.

DAJA

Verdenkt Ihr’s ihr?
Ihr fingt so eben an, vertraulicher
Mit ihm zu sprechen, als des Sultans Botschaft
Uns von dem Fenster scheuchte.

NATHAN

Nun so sag
Ihr nur, dass sie ihn jeden Augenblick
Erwarten darf.

DAJA

Gewiss? gewiss?

NATHAN

Ich kann
Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei
Auf deiner Hut, ich bitte dich. Es soll
Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst
Soll seine Rechnung dabei finden. Nur
Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur
Erzähl und frage mit Bescheidenheit,
Mit Rückhalt …

DAJA

Dass Ihr doch noch erst so was
Erinnern könnt! — Ich geh; geht Ihr nur auch.
Denn seht! ich glaube gar, da kommt vom Sultan
Ein zweiter Bot’, Al-Hafi, Euer Derwisch.

/ Geht ab. /

 

NEUNTER AUFTRITT

/ Nathan. Al-Hafi. /

AL-HAFI

Ha! ha! zu Euch wollt ich nun eben wieder.

NATHAN

Ist’s denn so eilig? Was verlangt er denn
Von mir?

AL-HAFI

Wer?

NATHAN

Saladin. — Ich komm, ich komme.

AL-HAFI

Zu wem? Zum Saladin?

NATHAN

Schickt Saladin
Dich nicht?

AL-HAFI

Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?

NATHAN

Ja freilich hat er.

AL-HAFI

Nun, so ist es richtig.

NATHAN

Was? was ist richtig?

AL-HAFI

Dass — ich bin nicht Schuld;
Gott weiß, ich bin nicht Schuld. — Was hab ich nicht
Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!

NATHAN

Was abzuwenden? Was ist richtig?

AL-HAFI

Dass
Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich
Bedaur' Euch. Doch mit ansehn will ich’s nicht.
Ich geh von Stund an, geh, Ihr habt es schon
Gehört, wohin, und wisst den Weg. — Habt Ihr
Des Wegs was zu bestellen, sagt: ich bin
Zu Diensten. Freilich muss es mehr nicht sein,
Als was ein Nackter mit sich schleppen kann.
Ich geh, sagt bald.

NATHAN

Besinn dich doch, Al-Hafi.
Besinn dich, dass ich noch von gar nichts weiß.
Was plauderst du denn da?

AL-HAFI

Ihr bringt sie doch
Gleich mit, die Beutel?

NATHAN

Beutel?

AL-HAFI

Nun, das Geld,
Das Ihr dem Saladin vorschießen sollt.

NATHAN

Und weiter ist es nichts?

AL-HAFI

Ich sollt’ es wohl
Mit ansehn, wie er Euch von Tag zu Tag
Aushöhlen wird bis auf die Zehen? Sollt’
Es wohl mit ansehn, dass Verschwendung aus
Der weisen Milde sonst nie leeren Scheuern
So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch
Die armen eingebornen Mäuschen drin
Verhungern? — Bildet Ihr vielleicht Euch ein,
Wer Eures Gelds bedürftig sei, der werde
Doch Euerm Rate wohl auch folgen? — Ja,
Er Rate folgen! Wenn hat Saladin
Sich raten lassen? — Denkt nur, Nathan, was
Mir eben jetzt mit ihm begegnet.

NATHAN

Nun?

AL-HAFI

Da komm ich zu ihm, eben dass er Schach
Gespielt mit seiner Schwester. Sittah spielt
Nicht übel; und das Spiel, das Saladin
Verloren glaubte, schon gegeben hatte,
Das stand noch ganz so da. Ich seh Euch hin,
Und sehe, dass das Spiel noch lange nicht
Verloren.

NATHAN

Ei! das war für dich ein Fund!

AL-HAFI

Er durfte mit dem König an den Bauer
Nur rücken, auf ihr Schach. — Wenn ich’s Euch gleich
Nur zeigen könnte!

NATHAN

O ich traue dir!

AL-HAFI

Denn so bekam der Roche Feld: und sie
War hin. — Das alles will ich ihm nun weisen
Und ruf ihn. — Denkt! …

NATHAN

Er ist nicht deiner Meinung?

AL-HAFI

Er hört mich gar nicht an, und wirft verächtlich
Das ganze Spiel in Klumpen.

NATHAN

Ist das möglich?

AL-HAFI

Und sagt: Er wolle matt nun einmal sein:
Er wolle! Heißt das spielen?

NATHAN

Schwerlich wohl;
Heißt mit dem Spiele spielen.

AL-HAFI

Gleichwohl galt
Es keine taube Nuss.

NATHAN

Geld hin, Geld her!
Das ist das Wenigste. Allein dich gar
Nicht anzuhören! über einen Punkt
Von solcher Wichtigkeit dich nicht einmal
Zu hören! deinen Adlerblick nicht zu
Bewundern! das, das schreit um Rache; nicht?

AL-HAFI

Ach was? Ich sag Euch das nur so, damit
Ihr sehen könnt, was für ein Kopf er ist.
Kurz, ich, ich halt’s mit ihm nicht länger aus.
Da lauf ich nun bei allen schmutz’gen Mohren
Herum, und frage, wer ihm borgen will.
Ich, der ich nie für mich gebettelt habe,
Soll nun für andre borgen. Borgen ist
Viel besser nicht als betteln; so wie leihen,
Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist,
Als stehlen. Unter meinen Gebern, an
Dem Ganges, brauch ich beides nicht, und brauche
Das Werkzeug beider nicht zu sein. Am Ganges,
Am Ganges nur gibt’s Menschen. Hier seid Ihr
Der Einzige, der noch so würdig wäre,
Dass er am Ganges lebte. — Wollt Ihr mit? —
Lasst ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche,
Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach
Und nach doch drum. So wär die Plackerei
Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk.
Kommt! kommt!

NATHAN

Ich dächte zwar, das blieb uns ja
Noch immer übrig. Doch, Al-Hafi, will
Ich’s überlegen. Warte …

AL-HAFI

Überlegen?
Nein, so was überlegt sich nicht.

NATHAN

Nur bis
Ich von dem Sultan wiederkomme; bis
Ich Abschied erst …

AL-HAFI

Wer überlegt, der sucht
Bewegungsgründe, nicht zu dürfen. Wer
Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht
Entschließen kann, der lebet andrer Sklav'
Auf immer. — Wie Ihr wollt! — Lebt wohl! wie’s Euch
Wohl dünkt. — Mein Weg liegt dort, und Eurer da.

NATHAN

Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das deine
Berichtigen?

AL-HAFI

Ach Possen! Der Bestand
Von meiner Kass’ ist nicht des Zählens wert;
Und meine Rechnung bürgt — Ihr oder Sittah.
Lebt wohl! (Ab.)

NATHAN

/ ihm nachsehend /

Die bürg ich! — Wilder, guter, edler —
Wie nenn ich ihn? — Der wahre Bettler ist
Doch einzig und allein der wahre König!

/ Von einer andern Seite ab. /

 

DRITTER AUFZUG

 

ERSTER AUFTRITT

/ Szene: In Nathans Hause. Recha und Daja. /

RECHA

Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus?
„Ich dürf ihn jeden Augenblick erwarten?”
Das klingt — nicht wahr? — als ob er noch so bald
Erscheinen werde. — Wie viel Augenblicke
Sind aber schon vorbei! — Ah nun; wer denkt
An die verflossenen? — Ich will allein
In jedem nächsten Augenblicke leben.
Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.

DAJA

O der verwünschten Botschaft von dem Sultan!
Denn Nathan hätte sicher ohne sie
Ihn gleich mit hergebracht.

RECHA

Und wenn er nun
Gekommen dieser Augenblick; wenn denn
Nun meiner Wünsche wärmster, innigster
Erfüllet ist: was dann? — was dann?

DAJA

Was dann?
Dann hoff ich, dass auch meiner Wünsche wärmster
Soll in Erfüllung gehen.

RECHA

Was wird dann
In meiner Brust an dessen Stelle treten,
Die schon verlernt, ohn einen herrschenden
Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? — Nichts?
Ah, ich erschrecke! …

DAJA

Mein, mein Wunsch wird dann
An des erfüllten Stelle treten, meiner.
Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen
Zu wissen, welche deiner würdig sind.

RECHA

Du irrst. — Was diesen Wunsch zu deinem macht,
Das Nämliche verhindert, dass er meiner
Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland:
Und meines, meines sollte mich nicht halten?
Ein Bild der deinen, das in deiner Seele
Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen,
Als die ich sehn, und greifen kann, und hören,
Die Meinen?

DAJA

Sperre dich, so viel du willst!
Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.
Und wenn es nun dein Retter selber wäre,
Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in
Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,
Für welche du geboren wurdest?

RECHA

Daja!
Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!
Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
Begriffe! „Sein, sein Gott! für den er kämpft!”
Wem eignet Gott! Was ist das für ein Gott,
Der einem Menschen eignet? der für sich
Muss kämpfen lassen! — Und wie weiß
Man denn, *für* welchen Erdkloß man geboren,
Wenn man’s für den nicht ist, *auf* welchem man
Geboren? — Wenn mein Vater dich so hörte! —
Was tat er dir, mir immer nur mein Glück
So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?
Was tat er dir, den Samen der Vernunft,
Den er so rein in meine Seele streute,
Mit deines Landes Unkraut oder Blumen,
So gern zu mischen? — Liebe, liebe Daja,
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! — Und ich muss dir sagen,
Ich selber fühle meinen Boden, wenn
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
So ausgezehrt durch deine Blumen; fühle
In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,
Mich so betäubt, so schwindelnd! — Dein Gehirn
Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum
Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,
Wie wenig fehlte, dass er mich zur Närrin
Gemacht? — Noch schäm ich mich vor meinem Vater
Der Posse!

DAJA

Posse! — Als ob der Verstand
Nur hier zu Hause wäre! — Posse! Posse! —
Wenn ich nur reden dürfte!

RECHA

Darfst du nicht?
Wann war ich nicht ganz Ohr, so oft es dir
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich
Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten
Nicht stets Bewunderung, und ihren Leiden
Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube
Schien freilich mir das Heldenmäßigste
An ihnen nie. Doch so viel tröstender
War mir die Lehre, dass Ergebenheit
In Gott von unserm Wähnen über Gott
So ganz und gar nicht abhängt. — Liebe Daja,
Das hat mein Vater uns so oft gesagt;
Darüber hast du selbst mit ihm so oft
Dich einverstanden; warum untergräbst
Du denn allein, was du mit ihm zugleich
Gebauet? — Liebe Daja, das ist kein
Gespräch, womit wir unserm Freund am besten
Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir,
Mir liegt daran unendlich, ob auch er …
Horch, Daja! — Kommt es nicht an unsre Türe?
Wenn er es wäre! Horch!

 

ZWEITER AUFTRITT

/ Recha, Daja und der Tempelherr, dem jemand von außen die Türe öffnet, mit den Worten: /

Nur hier herein!

RECHA

/ fährt zusammen, fasst sich, und will ihm zu Füßen fallen. /

Er ist’s — Mein Retter, ah!

TEMPELHERR

Dies zu vermeiden
Erschien ich bloß so spät: und doch —

RECHA

Ich will
Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes
Nur Gott noch einmal danken, nicht dem Manne.
Der Mann will keinen Dank, will ihn so wenig
Als ihn der Wassereimer will, der bei
Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen.
Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir
Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der
Ward nur so in die Glut hineingestoßen;
Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm;
Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken
Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen;
Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide
Herausschmiss aus der Glut. — Was gibt es da
Zu danken? — In Europa treibt der Wein
Zu noch weit andern Taten. — Tempelherren,
Die müssen einmal nun so handeln; müssen
Wie etwas besser zugelernte Hunde,
Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.

TEMPELHERR

/ der sie mit Erstaunen und Unruhe die ganze Zeit über betrachtet. /

O Daja, Daja! Wenn in Augenblicken Des Kummers und der Galle, meine Laune
Dich übel anließ, warum jede Torheit,
Die meiner Zung’ entfuhr, ihr hinterbringen?
Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja!
Doch wenn du nur von nun an besser mich
Bei ihr vertreten willst.

DAJA

Ich denke, Ritter,
Ich denke nicht, dass diese kleinen Stacheln,
Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr
Geschadet haben.

RECHA

Wie? Ihr hattet Kummer?
Und wart mit Euerm Kummer geiziger
Als Euerm Leben?

TEMPELHERR

Gutes, holdes Kind! —
Wie ist doch meine Seele zwischen Auge
Und Ohr geteilt! — Das war das Mädchen nicht,
Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer
Ich holte. — Denn wer hätte die gekannt,
Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte
Auf mich gewartet? — Zwar — verstellt — der Schreck.

/ Pause, unter der er in Anschauung ihrer sich wie verliert. /

RECHA

Ich aber find Euch noch den Nämlichen. —
desgleichen, bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.
Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange
Gewesen? — Fast dürft ich auch fragen: wo
Ihr itzo seid?

TEMPELHERR

Ich bin, — wo ich vielleicht
Nicht sollte sein. —

RECHA

Wo Ihr gewesen? — Auch
Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen?
Das ist nicht gut.

TEMPELHERR

Auf — auf — wie heißt der Berg?
Auf Sinai.

RECHA

Auf Sinai? — Ah schön!
Nun kann ich zuverlässig doch einmal
Erfahren, ob es wahr …

TEMPELHERR

Was? was? Ob’s wahr,
Dass noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses
Vor Gott gestanden, als …

RECHA

Nun das wohl nicht.
Denn wo er stand, stand er vor Gott. Und davon
Ist mir zur G’nüge schon bekannt. — Ob’s wahr,
Möcht ich nur gern von Euch erfahren, dass —
Dass es bei weitem nicht so mühsam sei,
Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als
Herab? — Denn seht, so viel ich Berge noch
Gestiegen bin, war’s just das Gegenteil. —
Nun, Ritter? — Was? — Ihr kehrt Euch von mir ab?
Wollt mich nicht sehn?

TEMPELHERR

Weil ich Euch hören will.

RECHA

Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, dass
Ihr meiner Einfalt lächelt; dass Ihr lächelt,
Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers
Von diesem heil’gen Berge aller Berge
Zu fragen weiß? Nicht wahr?

TEMPELHERR

So muss
Ich doch Euch wieder in die Augen sehn. —
Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt
Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen
In zweifelhaften Mienen lesen will,
Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich
Mir sagt — verschweigt? — Ah Recha! Recha! Wie
Hat er so wahr gesagt; „Kennt sie nur erst!”

RECHA

Wer hat? — von wem? — Euch das gesagt?

TEMPELHERR

„Kennt sie
Nur erst!” hat Euer Vater mir gesagt,
Von Euch gesagt.

DAJA

Und ich nicht etwa auch?
Ich denn nicht auch?

TEMPELHERR

Allein wo ist er denn?
Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch
Beim Sultan?

RECHA

Ohne Zweifel.

TEMPELHERR

Noch, noch da? —
O mich Vergesslichen! Nein, nein; da ist
Er schwerlich mehr. — Er wird dort unten bei
Dem Kloster meiner warten; ganz gewiss.
So red’ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt!
Ich geh, ich hol ihn …

DAJA

Das ist meine Sache.
Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.

TEMPELHERR

Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen,
Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht — wer weiß? —
Er könnte bei dem Sultan leicht — Ihr kennt
Den Sultan nicht! — leicht in Verlegenheit
Gekommen sein. — Glaubt mir, es hat Gefahr,
Wenn ich nicht geh.

RECHA

Gefahr? Was für Gefahr?

TEMPELHERR

Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich
Nicht schleunig, schleunig geh.

/ Ab. /

 

DRITTER AUFTRITT

/ Recha und Daja. /

RECHA

Was ist das, Daja? —
So schnell? — Was kommt ihn an? Was fiel ihm auf?
Was jagt ihn?

DAJA

Lasst nur, lasst. Ich denk, es ist
Kein schlimmes Zeichen.

RECHA

Zeichen? Und wovon?

DAJA

Dass etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,
Und soll nicht überkochen. Lasst ihn nur.
Nun ist’s an Euch.

RECHA

Was ist an mir? Du wirst,
Wie er, mir unbegreiflich.

DAJA

Bald nun könnt
Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die
Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch
Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.

RECHA

Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.

DAJA

Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?

RECHA

Das bin ich; ja, das bin ich …

DAJA

Wenigstens
Gesteht, dass Ihr Euch seiner Unruh’ freut,
Und seiner Unruh’ danket, was Ihr jetzt
Von Ruh’ genießt.

RECHA

Mir völlig unbewusst!
Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,
Wär, dass es mich — mich selbst befremdet, wie
Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen
So eine Stille plötzlich folgen können.
Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Ton
Hat mich …

DAJA

Gesättigt schon?

RECHA

Gesättigt, will
Ich nun nicht sagen; nein — bei weitem nicht —

DAJA

Den heißen Hunger nur gestillt.

RECHA

Nun ja,
Wenn du so willst.

DAJA

Ich eben nicht.

RECHA

Er wird
Mir ewig wert, mir ewig werter, als
Mein Leben bleiben, wenn auch schon mein Puls
Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;
Nicht mehr mein Herz, so oft ich an ihn denke,
Geschwinder, stärker schlägt. — Was schwatz ich? Komm,
Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster,
Das auf die Palmen sieht.

DAJA

So ist er doch
Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.

RECHA

Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn,
Nicht ihn bloß untern Palmen.

DAJA

Diese Kälte
Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.

RECHA

Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich
Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.

 

VIERTER AUFTRITT

/ Szene; ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin. Saladin und Sittah. /

SALADIN

/ im Hereintreten, gegen die Türe /

Hier bringt den Juden her, sobald er kommt.
Er scheint sich eben nicht zu übereilen.

SITTAH

Er war auch wohl nicht bei der Hand, nicht gleich
Zu finden.

SALADIN

Schwester! Schwester!

SITTAH

Tust du doch,
Als stünde dir ein Treffen vor.

SALADIN

Und das
Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen.
Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen;
Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen.
Wann hätt ich das gekonnt? Wo hätt ich das
Gelernt? — Und soll das alles, ah, wozu?
Wozu? — Um Geld zu fischen! Geld! — Um Geld,
Geld einem Juden abzubangen? Geld!
Zu solchen kleinen Listen wär ich endlich
Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir
Zu schaffen?

SITTAH

Jede Kleinigkeit, zu sehr
Verschmäht, die rächt sich, Bruder.

SALADIN

Leider wahr. —
Und wenn nun dieser Jude gar der gute,
Vernünft’ge Mann ist, wie der Derwisch dir
Ihn ehedem beschrieben?

SITTAH

O nun dann!
Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt
Ja nur dem geizigen, besorglichen,
Furchtsamen Juden; nicht dem guten, nicht
Dem weisen Manne. Dieser ist ja so
Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen,
Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred’t;
Mit welcher dreisten Stärk' entweder er
Die Stricke kurz zerreißet, oder auch
Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze
Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast
Du obendrein.

SALADIN

Nun, das ist wahr. Gewiss,
Ich freue mich darauf.

SITTAH

So kann dich ja
Auch weiter nichts verlegen machen. Denn
Ist’s einer aus der Menge bloß; ist’s bloß
Ein Jude, wie ein Jude: gegen den
Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen,
Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr,
Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm
Als Geck, als Narr.

SALADIN

So muss ich ja wohl gar
Schlecht handeln, dass von mir der Schlechte nicht
Schlecht denke?

SITTAH

Traun! wenn du schlecht handeln nennst,
Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.

SALADIN

Was hätt ein Weiberkopf erdacht, das er
Nicht zu beschönen wüsste!

SITTAH

Zu beschönen!

SALADIN

Das feine, spitze Ding, besorg ich nur,
In meiner plumpen Hand zerbricht! — So was
Will ausgeführt sein, wie’s erfunden ist:
Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit; — Doch,
Mag’s doch nur, mag’s! Ich tanze, wie ich kann;
Und könnt es freilich, lieber — schlechter noch
Als besser.

SITTAH

Trau dir auch nur nicht zu wenig!
Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. —
Dass uns die Männer deinesgleichen doch
So gern bereden möchten, nur ihr Schwert,
Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht.
Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit
Dem Fuchse jagt — des Fuchses, nicht der List.

SALADIN

Und dass die Weiber doch so gern den Mann
Zu sich herunter hätten! — Geh nur, geh! —
Ich glaube meine Lektion zu können.

SITTAH

Was? Ich soll gehn?

SALADIN

Du wolltest doch nicht bleiben?

SITTAH

Wenn auch nicht bleiben … im Gesicht euch bleiben —
Doch hier im Nebenzimmer —

SALADIN

Da zu horchen?
Auch das nicht, Schwester, wenn ich soll bestehn. —
Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kommt! — Doch dass
Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.

/ Indem sie sich durch die eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein, und Saladin hat sich gesetzt. /

 

FÜNFTER AUFTRITT

/ Saladin und Nathan. /

SALADIN

Tritt näher, Jude! — Näher! — Nur ganz her! —
Nur ohne Furcht!

NATHAN

Die bleibe deinem Feinde!

SALADIN

Du nennst dich Nathan?

NATHAN

Ja.

SALADIN

Den weisen Nathan?

NATHAN

Nein.

SALADIN

Wohl! nennst du dich nicht, nennt dich das Volk.

NATHAN

Kann sein, das Volk!

SALADIN

Du glaubst doch nicht, dass ich
Verächtlich von des Volkes Stimme denke? —
Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen,
Den es den Weisen nennt.

NATHAN

Und wenn es ihn
Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise
Nichts weiter wär als klug? und klug nur der,
Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?

SALADIN

Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?

NATHAN

Dann freilich wär der Eigennützigste
Der Klügste. Dann wär freilich klug und weise
Nur eins.

SALADIN

Ich höre dich erweisen, was
Du widersprechen willst. — Des Menschen wahre
Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du,
Hast du zu kennen wenigstens gesucht;
Hast drüber nachgedacht: das auch allein
Macht schon den Weisen.

NATHAN

Der sich jeder dünkt
Zu sein.

SALADIN

Nun der Bescheidenheit genug!
Denn sie, nur immerdar zu hören, wo
Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. Er springt auf.
Lass uns zur Sache kommen! Aber, aber
Aufrichtig, Jud', aufrichtig!

NATHAN

Sultan, ich
Will sicherlich dich so bedienen, dass
Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe.

SALADIN

Bedienen? Wie?

NATHAN

Du sollst das Beste haben
Von allem; sollst es um den billigsten
Preis haben.

SALADIN

Wovon sprichst du? Doch wohl nicht
Von deinen Waren? — Schachern wird mit dir
Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!)
Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.

NATHAN

So wirst du ohne Zweifel wissen wollen,
Was ich auf meinem Wege von dem Feinde,
Der allerdings sich wieder reget, etwa
Bemerkt, getroffen? — Wenn ich unverhohlen …

SALADIN

Auch darauf bin ich eben nicht mit dir
Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel
Ich nötig habe. — Kurz: —

NATHAN

Gebiete, Sultan.

SALADIN

Ich heische deinen Unterricht in ganz
Was anderm, ganz was anderm. — Da du nun
So weise bist: so sage mir doch einmal —
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
Hat dir am meisten eingeleuchtet?

NATHAN

Sultan,
Ich bin ein Jud'.

SALADIN

Und ich ein Muselmann.
Der Christ ist zwischen uns. — Von diesen drei
Religionen kann doch *eine* nur
Die wahre sein. — Ein Mann, wie du, bleibt da
Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt
Ihn hingeworfen; oder wenn er bleibt,
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern
Wohlan! so teile deine Einsicht mir
Denn mit. Lass mich die Gründe hören, denen
Ich selber nachzugrübeln nicht die Zeit
Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe
Bestimmt — versteht sich, im Vertrauen — wissen,
Damit ich sie zu meiner mache. — Wie?
Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? — Kann
Wohl sein, dass ich der erste Sultan bin,
Der eine solche Grille hat, die mich
Doch eines Sultans eben nicht so ganz
Unwürdig dünkt. — Nicht wahr? So rede doch!
Sprich! — Oder willst du einen Augenblick,
Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir. —
(Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen;
Will hören, ob ich’s recht gemacht.) Denk nach,
Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück
Zu kommen.

/ Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben. /

 

SECHSTER AUFTRITT

/ Nathan allein. /

Hm! hm! — wunderlich! — Wie ist
Mir denn? — Was will der Sultan? Was? — Ich bin
Auf Geld gefasst, und er will — Wahrheit. Wahrheit!
Und will sie so, — so bar, so blank, — als ob
Die Wahrheit Münze wäre! — Ja, wenn noch
Uralte Münze, die gewogen ward! —
Das ginge noch! Allein so neue Münze,
Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett
Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht!
Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf
Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude?
Ich oder er? — Doch wie? Sollt er auch wohl,
Die Wahrheit nicht in Wahrheit fordern? — Zwar,
Zwar der Verdacht, dass er die Wahrheit nur
Als Falle brauche, wär auch gar zu klein! —
Zu klein? — Was ist für einen Großen denn
Zu klein? — Gewiss, gewiss: er stürzte mit
Der Türe so ins Haus! Man pocht doch, hört
Doch erst, wenn man als Freund sich naht. — Ich muss
Behutsam gehn! — Und wie? wie das? — So ganz
Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. —
Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder.
Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen,
Warum kein Muselmann? — Das war’s! Das kann
Mich retten! — Nicht die Kinder bloß speist man
Mit Märchen ab. — Er kömmt. Er komme nur!

 

SIEBENTER AUFTRITT

/ Saladin tuid Nathan. /

SALADIN

(So ist das Feld hier rein! ) — Ich komm dir doch
Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande
Mit deiner Überlegung? — Nun so rede!
Es hört uns keine Seele.

NATHAN

Möcht auch doch
Die ganze Welt uns hören.

SALADIN

So gewiss
Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn
Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu
Verhehlen! für sie alles auf das Spiel
Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!

NATHAN

Ja! ja! wann’s nötig ist und nutzt.

SALADIN

Von nun
An darf ich hoffen, einen meiner Titel,
Verbesserer der Welt und des Gesetzes,
Mit Recht zu führen.

NATHAN

Traun, ein schöner Titel!
Doch, Sultan, eh ich mich dir ganz vertraue,
Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu
Erzählen?

SALADIN

Warum das nicht? Ich bin stets
Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut
Erzählt.

NATHAN

Ja, *gut* erzählen, das ist nun
Wohl eben meine Sache nicht.

SALADIN

Schon wieder
So stolz bescheiden? — Mach! erzähl, erzähle!

NATHAN

Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
dass ihn der Mann im Osten darum nie
Vom Finger ließ, und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der Liebste sei; und stets der Liebste,
Ohn Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. —
Versteh mich, Sultan.

SALADIN

Ich versteh dich. Weiter!

NATHAN

So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, — sowie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz
Die andern zwei nicht teilten, — würdiger
Des Ringes, den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, so lang es ging. — Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. — Was zu tun?
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, —
Und seinen Ring, — und stirbt. — Du hörst doch, Sultan?

SALADIN

/ der betroffen sich von ihm gewandt /

Ich hör, ich höre! — Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. — Wird's?

NATHAN

Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. —
Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder
Mit seinem Ring und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich —
Nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet.
Fast so unerweislich als
Uns jetzt — der rechte Glaube.

SALADIN

Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage? …

Nathan

Soll
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen ließ,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

SALADIN

Die Ringe! — Spiele nicht mit mir! — Ich dächte,
dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.
Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank!

NATHAN

Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. —
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
Geschrieben oder überliefert! — Und
Geschichte muss doch wohl allein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? — Nicht? —
Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
Doch deren Blut wir sind? Doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? —
Wie kann ich meinen Vätern weniger,
Als du den deinen glauben? Oder, umgekehrt:
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das Nämliche gilt von den Christen. Nicht? —

SALADIN

(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht.
Ich muss verstummen.)

NATHAN

Lass auf unsre Ring'
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben — wie auch wahr! — nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. — Wie nicht minder wahr! — Der Vater,
Beteu’rte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass': eh müss’ er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

SALADIN

Und nun, der Richter? — Mich verlangt zu hören
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

NATHAN

Der Richter sprach: wenn Ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich Euch
Von meinem Stuhle. Denkt Ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret Ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? —
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! — Nun, wen lieben zwei
Von Euch am meisten? — Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? — O so seid Ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen.

SALADIN

Herrlich! Herrlich!

NATHAN

Und also, fuhr der Richter fort, wenn Ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! — Mein Rat ist aber der: Ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater,
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. — Möglich, dass der Vater nun
Die Tyrannei des *einen* Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiss,
dass er Euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. — Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von Euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei Euem Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich, und sprechen. Geht! — So sagte der
Bescheidne Richter.

SALADIN

Gott! Gott!

NATHAN

Saladin,
Wenn du dich fühlest, dieser weisere
Versprochne Mann zu sein …

SALADIN

/ der auf ihn zustürzt, und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt. /

Ich Staub? Ich Nichts?
O Gott!

NATHAN

Was ist dir, Sultan?

SALADIN

Nathan, lieber Nathan! —
Die tausend tausend Jahre deines Richters
Sind noch nicht um. — Sein Richterstuhl ist nicht
Der meine. — Geh! — Geh! — Aber sei mein Freund.

NATHAN

Und weiter hätte Saladin mir nichts
Zu sagen?

SALADIN

Nichts.

NATHAN

Nichts?

SALADIN

Gar nichts. — Und warum?

NATHAN

Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht,
Dir eine Bitte vorzutragen.

SALADIN

Braucht's
Gelegenheit zu einer Bitte? — Rede!

NATHAN

Ich komm von einer weiten Reis’, auf welcher
Ich Schulden eingetrieben. — Fast hab ich
Des baren Gelds zu viel. — Die Zeit beginnt
Bedenklich wiederum zu werden; — und
Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. —
Da dacht ich, ob nicht du vielleicht, — weil doch
Ein naher Krieg des Geldes immer mehr
Erfordert, — etwas brauchen könntest.

SALADIN

/ ihm steif in die Augen sehend /

Nathan! —
Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon
Bei dir gewesen: — will nicht untersuchen,
Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses
Erbieten freierdings zu tun …

NATHAN

Ein Argwohn?

SALADIN

Ich bin ihn wert. — Verzeih mir! — denn was hilft’s?
Ich muss dir nur gestehen, — dass ich im
Begriffe war —

NATHAN

Doch nicht, das Nämliche
An mich zu suchen?

SALADIN

Allerdings.

NATHAN

So wär
Uns beiden ja geholfen! Dass ich aber
Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken,
Das macht der junge Tempelherr. — Du kennst
Ihn ja. — Ihm hab ich eine große Post
Vorher noch zu bezahlen.

SALADIN

Tempelherr?
Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht
Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?

NATHAN

Ich spreche von dem einen nur, dem du
Das Leben spartest …

SALADIN

Ah! woran erinnerst
Du mich! — Hab ich doch diesen Jüngling ganz
Vergessen! — Kennst du ihn? — Wo ist er?

NATHAN

Wie?
So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade
Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er,
Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens,
Hat meine Tochter aus dem Feu’r gerettet.

SALADIN

Er? Hat er das? — Ha! danach sah er aus.
Das hätte traun mein Bruder auch getan,
Dem er so ähnelt! — Ist er denn noch hier?
So bring ihn her! — Ich habe meiner Schwester
Von diesem ihrem Bruder, den sie nicht
Gekannt, so viel erzählet, dass ich sie
Sein Ebenbild doch auch muss sehen lassen! —
Geh, hol ihn! — Wie aus *einer* guten Tat,
Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft,
Doch so viel andre gute Taten fließen!
Geh, hol ihn!

NATHAN

/ indem er Saladins Hand fahren lässt. /

Augenblicks! Und bei dem andern
Bleibt es doch auch?

SALADIN

Ah! dass ich meine Schwester
Nicht horchen lassen! — Zu ihr! Zu ihr! — Denn
Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?

/ Ab von der andern Seite. /

 

ACHTER AUFTRITT

/ Die Szene: unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet. /

TEMPELHERR

/ geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab, bis er losbricht. /

— Hier hält das Opfertier ermüdet still. —
Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen,
Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern,
Was vorgehn wird. — Genug, ich bin umsonst
Geflohn; umsonst. — Und weiter *könnt* ich doch
Auch nichts, als fliehn! — Nun komm’, was kommen soll! —
Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell
Gefallen, unter den zu kommen, ich
So lang und viel mich weigerte. — Sie sehn,
Die ich zu sehn so wenig lüstern war, —
Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus
Den Augen nie zu lassen — Was Entschluss?
Entschluss ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt’,
Ich litte bloß. — Sie sehn, und das Gefühl,
An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein
War eins. — Bleibt eins. — Von ihr getrennt
Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär
Mein Tod, — und wo wir immer nach dem Tode
Noch sind, auch da mein Tod. — Ist das nun Liebe:
So — liebt der Tempelritter freilich, — liebt
Der Christ das Judenmädchen freilich. — Hm!
Was tut’s? — Ich hab in dem gelobten Lande, —
Und drum auch mir *gelobt* auf immerdar! —
Der Vorurteile mehr schon abgelegt. —
Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr
Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot,
Der mich zu Saladins Gefangnen machte.
Der Kopf, den Saladin mir schenkte, war
Mein alter? — Ist ein neuer, der von allem
Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,
Was jenen band; — und ist ein bessrer; für
Den väterlichen Himmel mehr gemacht
Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn
Ich so zu denken, wie mein Vater hier
Gedacht muss haben; wenn man Märchen nicht
Von ihm mir vorgelogen. — Märchen? — doch
Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,
Als jetzt geschienen, da ich nur Gefahr
Zu straucheln laufe, wo er fiel — Er fiel?
Ich will mit Männern lieber fallen, als
Mit Kindern stehn. — Sein Beispiel bürget mir
Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall
Liegt mir denn sonst? — An Nathans? — O an dessen
Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir
Noch weniger gebrechen. — Welch ein Jude! —
Und der so ganz nur Jude scheinen will!
Da kommt er; kommt mit Hast; glüht heitre Freude.
Wer kam vom Saladin je anders? He!
He, Nathan!

 

NEUNTER AUFTRITT

/ Nathan und der Tempelherr. /

NATHAN

Wie? seid Ihr’s?

TEMPELHERR

Ihr habt
Sehr lang Euch bei dem Sultan aufgehalten.

NATHAN

So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
Zu viel verweilt. — Ah, wahrlich Curd; der Mann
Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. —
Doch lasst vor allen Dingen Euch geschwind
Nur sagen …

TEMPELHERR

Was?

NATHAN

Er will Euch sprechen; will,
dass ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
Erst etwas anders zu verfügen habe:
Und dann, so gehn wir.

TEMPELHERR

Nathan, Euer Haus
Betret ich wieder eher nicht …

NATHAN

So seid
Ihr doch indes schon da gewesen? Habt
Indes sie doch gesprochen? — Nun? — Sagt: wie
Gefällt Euch Recha?

TEMPELHERR

Über allen Ausdruck!
Allein — sie wiedersehn — das werd ich nie!
Nie! nie! — Ihr müsstet mir zur Stelle denn
Versprechen: — dass ich sie auf immer, immer —
Soll können sehn.

NATHAN

Wie wollt Ihr, dass ich das
Versteh?

TEMPELHERR

/ nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend /

Mein Vater!

NATHAN

— Junger Mann!

TEMPELHERR

/ ihn eben so plötzlich wieder lassend /

Nicht Sohn? —
Ich bitt Euch, Nathan! —

NATHAN

Lieber junger Mann!

TEMPELHERR

Nicht Sohn? — Ich bitt Euch, Nathan! — Ich beschwör
Euch bei den ersten Banden der Natur! —
Zieht ihnen spätere Fesseln doch nicht vor! —
Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! — Stoßt mich
Nicht von Euch!

NATHAN

Lieber, lieber Freund!…

TEMPELHERR

Und Sohn?
Sohn nicht? — Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
Auch dann nicht einmal, wenn in Eins zu schmelzen
Auf Euern Wink nur beide warteten? —
Ihr schweigt?

NATHAN

Ihr überrascht mich, junger Ritter.

TEMPELHERR

Ich überrasch Euch? — überrasch Euch, Nathan,
Mit Euem eigenen Gedanken? — Ihr
Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?
Ich überrasch Euch?

NATHAN

Eh ich einmal weiß,
Was für ein Stauffen Euer Vater denn
Gewesen ist!

TEMPELHERR

Was sagt Ihr, Nathan? was? —
In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts,
Als Neubegier?

NATHAN

Denn seht! Ich habe selbst
Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
Der Conrad hieß.

TEMPELHERR

Nun — wenn mein Vater denn
Nun eben so geheißen hätte?

NATHAN

Wahrlich?

TEMPELHERR

Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
Ist Conrad.

NATHAN

Nun — so war mein Conrad doch
Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.

TEMPELHERR

O darum!

NATHAN

Wie?

TEMPELHERR

O darum könnt er doch
Mein Vater wohl gewesen sein.

NATHAN

Ihr scherzt.

TEMPELHERR

Und Ihr nehmt’s wahrlich zu genau! — Was wär’s
Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
Der Schlag ist auch nicht zu verachten. — Doch
Entlasst mich immer meiner Ahnenprobe.
Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
Hinauf belegen. Und von da so weiter,
Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.

NATHAN

Ihr werdet bitter. — Doch verdien ich’s? — Schlug
Ich denn Euch schon was ab? — Ich will Euch ja
Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
So fassen. — Weiter nichts.

TEMPELHERR

Gewiss? — Nichts weiter?
O so vergebt! …

NATHAN

Nun kommt nur, kommt!

TEMPELHERR

Wohin?
Nein! — Mit in Euer Haus? — Das nicht! das nicht! —
Da brennt’s! — Ich will Euch hier erwarten. Geht! —
Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
Schon viel zu viel …

NATHAN

Ich will mich möglichst eilen.

 

ZEHNTER AUFTRITT

/ Der Tempelherr und bald darauf Daja. /

TEMPELHERR

Schon mehr als g’nug! — Des Menschen Hirn fasst so
Unendlich viel; und ist doch manchmal auch
So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
So plötzlich voll! — Taugt nichts, taugt nichts; es sei
Auch voll, wovon es will. — Doch nur Geduld!
Die Seele wirkt den aufgedunsenen Stoff
Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
Und Ordnung kommen wieder. — Lieb ich denn
Zum ersten Male? Oder war, was ich
Als Liebe kenne, Liebe nicht? — Ist Liebe
Nur was ich jetzt empfinde? …

DAJA

/ die sich von der Seite herbeigeschlichen /

Ritter! Ritter!

TEMPELHERR

Wer ruft? — Ha, Daja, Ihr?

DAJA

Ich habe mich
Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
Könnt er uns sehn, wo Ihr da steht — Drum kommt
Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.

TEMPELHERR

Was gibt’s denn? — So geheimnisvoll? — Was ist’s?

DAJA

Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
Das eine weiß nur ich; das andre wisst
Nur Ihr. — Wie wär es, wenn wir tauschten?
Vertraut mir Euers, so vertrau ich Euch
Das meine.

TEMPELHERR

Mit Vergnügen. — Wenn ich nur
Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch
Das wird aus Euerm wohl erhellen. — Fangt
Nur immer an.

DAJA

Ei denkt doch! — Nein, Herr Ritter:
Erst Ihr; ich folge. — Denn versichert, mein
Geheimnis kann Euch gar nichts nützen, wenn
Ich nicht zuvor das Eure habe. — Nur
Geschwind! — Denn frag ich’s Euch erst ab: so habt
Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann
Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid
Ihr los. — Doch, armer Ritter! — dass ihr Männer
Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben
Zu können auch nur glaubt!

TEMPELHERR

Das wir zu haben
Oft selbst nicht wissen.

DAJA

Kann wohl sein. Drum muss
Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt
Zu machen, schon die Freundschaft haben. — Sagt:
Was hieß denn das, dass Ihr so Knall und Fall
Euch aus dem Staube machtet? dass Ihr uns
So sitzen ließet? — dass Ihr nun mit Nathan
Nicht wiederkommt? — Hat Recha denn so wenig
Auf Euch gewirkt? Wie? oder auch, so viel? —
So viel! so viel! — Lehrt Ihr des armen Vogels,
Der an der Rute klebt, Geflattre mich
Doch kennen! — Kurz: gesteht es mir nur gleich,
dass Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und
Ich sag Euch was …

TEMPELHERR

Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr
Versteht Euch trefflich drauf.

DAJA

Nun gebt mir nur
Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch
Erlassen.

TEMPELHERR

Weil er sich von selbst versteht? —
Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! …

DAJA

Scheint freilich wenig Sinn zu haben. — Doch
Zuweilen ist des Sinns in einer Sache
Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre
So unerhört doch nicht, dass uns der Heiland
Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge
Von selbst nicht leicht betreten würde.

TEMPELHERR

Das
So feierlich? — (Und setz ich statt des Heilands
Die Vorsicht: hat sie denn nicht Recht? —) Ihr macht
Mich neubegieriger, als ich wohl sonst
Zu sein gewohnt bin.

DAJA

O! das ist das Land
Der Wunder!

TEMPELHERR

(Nun! — des Wunderbaren. Kann
Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt
Drängt sich ja hier zusammen.) — Liebe Daja,
Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:
dass ich sie liebe; dass ich nicht begreife,
Wie ohne sie ich leben werde; dass …

DAJA

Gewiss? gewiss? — So schwört mir, Ritter, sie
Zur Eurigen zu machen; sie zu retten;
Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.

TEMPELHERR

Und wie? — Wie kann ich? — Kann ich schwören, was
In meiner Macht nicht steht?

DAJA

In Eurer Macht
Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort
In Eure Macht.

TEMPELHERR

Dass selbst der Vater nichts
Dawider hätte?

DAJA

Ei, was Vater! Vater!
Der Vater soll schon müssen.

TEMPELHERR

Müssen, Daja? —
Noch ist er unter Räuber nicht gefallen.
Er muss nicht müssen.

DAJA

Nun, so muss er wollen;
Muss gern am Ende wollen.

TEMPELHERR

Muss? und gern? —
Doch Daja, wenn ich Euch nun sage, dass
Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen
Bereits versucht?

DAJA

Was? und er fiel nicht ein?

TEMPELHERR

Er fiel mit einem Misslaut ein, der mich —
Beleidigte.

DAJA

Was sagt Ihr? — Wie? Ihr hättet
Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
Ihm blicken lassen: und er wär vor Freuden
Nicht aufgesprungen? — hätte frostig sich
Zurückgezogen? — hätte Schwierigkeiten
Gemacht?

TEMPELHERR

So ungefähr.

DAJA

So will ich denn
Mich länger keinen Augenblick bedenken. —
Pause.

TEMPELHERR

Und Ihr bedenkt Euch doch?

DAJA

Der Mann ist sonst
So gut! — Ich selber bin so viel ihm schuldig! —
Dass er doch gar nicht hören will! — Gott weiß,
Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

TEMPELHERR

Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
Aus dieser Ungewissheit. Seid Ihr aber
Noch selber ungewiss, ob, was Ihr vorhabt,
Gut oder böse, schändlich oder löblich
Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, dass
Ihr etwas zu verschweigen habt.

DAJA

Das spornt,
Anstatt zu halten. — Nun; so wisst denn: Recha
Ist keine Jüdin; ist — ist eine Christin.

TEMPELHERR

/ kalt /

So? Wünsch Euch Glück! Hat’s schwer gehalten? Lasst
Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja
Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern;
Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

DAJA

Wie, Ritter?
Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
dass Recha eine Christin ist, das freuet
Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

TEMPELHERR

Besonders, da
Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

DAJA

Ah! so versteht Ihr’s? So mag’s gelten! — Nein!
Den will ich sehn, der die bekehren soll!
Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
Verdorben ist.

TEMPELHERR

Erklärt Euch, oder — geht!

DAJA

Sie ist ein Christenkind; von Christeneltern
Geboren; ist getauft …

TEMPELHERR

/ hastig /

Und Nathan?

DAJA

Nicht
Ihr Vater!

TEMPELHERR

Nathan nicht ihr Vater? — Wisst
Ihr, was Ihr sagt?

DAJA

Die Wahrheit, die so oft
Mich blut’ge Tränen weinen machen. — Nein,
Er ist ihr Vater nicht …

TEMPELHERR

Und hätte sie
Als seine Tochter nur erzogen? hätte
Das Christenkind als eine Jüdin sich
Erzogen?

DAJA

Ganz gewiss.

TEMPELHERR

Sie wüsste nicht,
Was sie geboren sei? — Sie hätt es nie
Von ihm erfahren, dass sie eine Christin
Geboren sei, und keine Jüdin?

DAJA

Nie!

TEMPELHERR

Er hätt in diesem Wahne nicht das Kind
Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
In diesem Wahne?

DAJA

Leider!

TEMPELHERR

Nathan — Wie? —
Der weise, gute Nathan hätte sich
Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
Verfälschen? — Die Ergießung eines Herzens
So zu verlenken, die, sich selbst gelassen,
Ganz andre Wege nehmen würde? — Daja,
Ihr habt mir allerdings etwas vertraut —
Von Wichtigkeit, — was Folgen haben kann,
Was mich verwirrt, — worauf ich gleich nicht weiß,
Was mir zu tun. — Drum lasst mir Zeit. — Drum geht!
Er kommt hier wiederum vorbei. Er möcht
Uns überfallen. Geht!

DAJA

Ich wär des Todes!

TEMPELHERR

Ich bin ihn jetzt zu sprechen ganz und gar
Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
Ihm nur, dass wir einander bei dem Sultan
Schon finden würden.

DAJA

Aber lasst Euch ja
Nichts merken gegen ihn. — Das soll nur so
Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
Benehmen! — Wenn Ihr aber dann sie nach
Europa führt, so lasst Ihr doch mich nicht
Zurück?

TEMPELHERR

Das wird sich finden. Geht nur! geht!

 

VIERTER AUFZUG

 

ERSTER AUFTRITT

/ Szene: in den Kreuzgängen des Klosters. Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr. /

KLOSTERBRUDER

Ja, ja! er hat schon Recht, der Patriarch!
Es hat mir freilich noch von alledem
Nicht viel gelingen wollen, was er mir
So aufgetragen. — Warum trägt er mir
Auch lauter solche Sachen auf? — Ich mag
Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag
Mein Näschen nicht in alles stecken; mag
Mein Händchen nicht in allem haben. — Bin
Ich darum aus der Welt geschieden, ich
Für mich, um mich für andre mit der Welt
Noch erst recht zu verwickeln?

TEMPELHERR

/ mit Hast auf ihn zukommend /

Guter Bruder!
Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon
Gesucht.

KLOSTERBRUDER

Mich, Herr?

TEMPELHERR

Ihr kennt mich schon nicht mehr?

KLOSTERBRUDER

Doch, doch! Ich glaubte nur, dass ich den Herrn
In meinem Leben wieder nie zu sehn
Bekommen würde. Denn ich hofft es zu
Dem lieben Gott. — Der liebe Gott, der weiß,
Wie sauer mir der Antrag ward, den ich
Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiß,
Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch
Zu finden; weiß, wie sehr ich mich gefreut,
Im Innersten gefreut, dass Ihr so rund
Das alles, ohne viel Bedenken, von
Euch wies’t, was einem Ritter nicht geziemt. —
Nun kommt Ihr doch! Nun hat’s doch nachgewirkt!

TEMPELHERR

Ihr wisst es schon, warum ich komme? Kaum
Weiß ich es selbst.

KLOSTERBRUDER

Ihr habt’s nun überlegt;
Habt nun gefunden, dass der Patriarch
So Unrecht doch nicht hat: dass Ehr' und Geld
Durch seinen Anschlag zu gewinnen; dass
Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel
Auch siebenmal gewesen wäre. Das,
Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen,
Und kommt, und tragt Euch wieder an. — Ach Gott!

TEMPELHERR

Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden.
Deswegen komm ich nicht; deswegen will
Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch,
Noch denk ich über jenen Punkt, wie ich
Gedacht, und wollt um alles in der Welt
Die gute Meinung nicht verlieren, deren
Mich ein so grader, frommer, lieber Mann
Einmal gewürdiget. — Ich komme bloß,
Den Patriarchen über eine Sache
Um Rat zu fragen …

KLOSTERBRUDER

Ihr den Patriarchen?
Ein Ritter einen — Pfaffen?

/ Sich schüchtern umsehend.) /

TEMPELHERR

Ja; — die Sach'
Ist ziemlich pfäffisch.

KLOSTERBRUDER

Gleichwohl fragt der Pfaffe
Den Ritter nie, die Sache sei auch noch
So ritterlich.

TEMPELHERR

Weil er das Vorrecht hat,
Sich zu vergehn, das unsereiner ihm
Nicht sehr beneidet. — Freilich, wenn ich nur
Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn
Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte:
Was braucht' ich Eures Patriarchen? Aber
Gewisse Dinge will ich lieber schlecht,
Nach andrer Willen, machen; als allein
Nach meinem, gut. — Zudem, ich seh nun wohl,
Religion ist auch Partei; und wer
Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt,
Hält, ohn es selbst zu wissen, doch nur seiner
Die Stange. Weil das einmal nun so ist;
Wird’s so wohl recht sein.

KLOSTERBRUDER

Dazu schweig ich lieber.
Denn ich versteh den Herrn nicht recht.

TEMPELHERR

Und doch! —
(lass sehn, warum mir eigentlich zu tun!
Um Machtspruch oder Rat? — Um lautern, oder
Gelehrten Rat?) — Ich dank Euch Bruder; dank
Euch für den guten Wink. — Was Patriarch? —
Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch
Den Christen mehr im Patriarchen, als
Den Patriarchen in dem Christen fragen. —
Die Sach’ ist die …

KLOSTERBRUDER

Nicht weiter, Herr, nicht weiter!
Wozu? — Der Herr verkennt mich. — Wer viel weiß,
Hat viel zu sorgen; und ich habe ja
Mich *einer* Sorge nur gelobt. — O gut!
Hört! seht! Dort kommt, zu meinem Glück, er selbst
Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.

 

ZWEITER AUFTRITT

/ Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkommt, und die Vorigen. /

TEMPELHERR

Ich wich' ihm lieber aus. — Wär nicht mein Mann? —
Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!
Und welcher Prunk!

KLOSTERBRUDER

Ihr solltet ihn erst sehn
Nach Hofe sich erheben. Itzo kommt
Er nur von einem Kranken.

TEMPELHERR

Wie sich da
Nicht Saladin wird schämen müssen!

PATRIARCH

/ indem er näher kommt, winkt dem Bruder /

Hier! —
Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will
Er?

KLOSTERBRUDER

Weiß nicht.

PATRIARCH

/ auf ihn zu gehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten /

Nun, Herr Ritter! — Sehr erfreut
Den braven jungen Mann zu sehn! — Ei, noch
So gar jung! — Nun, mit Gottes Hülfe, daraus
Kann etwas werden.

TEMPELHERR

Mehr, ehrwürd’ger Herr,
Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch
Was weniger.

PATRIARCH

Ich wünsche wenigstens,
dass so ein frommer Ritter lange noch
Der lieben Christenheit, der Sache Gottes
Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge!
Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein
Die junge Tapferkeit dem reifen Rate
Des Alters folgen will! — Womit wär sonst
Dem Herrn zu dienen?

TEMPELHERR

Mit dem Nämlichen,
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.

PATRIARCH

Recht gern! — Nur ist der Rat auch anzunehmen.

TEMPELHERR

Doch blindlings nicht?

PATRAIARCH

Wer sagt denn das? — Ei freilich
muss niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
Zu brauchen unterlassen — wo sie hin–
Gehört. Gehört sie aber überall
Denn hin? — O nein! — Zum Beispiel: wenn uns Gott
Durch einen seiner Engel, — ist zu sagen,
Durch einen Diener seines Worts — ein Mittel
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl
Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche
Auf irgendeine ganz besondre Weise
Zu fördern, zu befestigen: wer darf
Sich da noch unterstehn, die Willkür des,
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft
Zu untersuchen? und das ewige
Gesetz der Herrlichkeit des Himmels nach
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
Zu prüfen? — Doch hiervon genug. Was ist
Es denn, worüber unsern Rat für jetzt
Der Herr verlangt?

TEMPELHERR

Gesetzt, ehrwürd’ger Vater,
Ein Jude hätt ein einzig Kind, — es sei
Ein Mädchen, — das er mit der größten Sorgfalt
Zu allem Guten auferzogen, das
Er liebe mehr als seine Seele, das
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
Und nun würd unsereinem hinterbracht,
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;
Er hab’ es in der Kindheit aufgelesen,
Gekauft, gestohlen — was Ihr wollt; man wisse,
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
Erzogen; lass es nur als Jüdin und
Als seine Tochter so verharren: — sagt,
Ehrwürd’ger Vater, was wär hierbei wohl
Zu tun?

PATRIARCH

Mich schaudert! — Doch zu allerest
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
Ein Faktum oder eine Hypothes’.
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
Nur bloß so dichtet, oder ob’s geschehn,
Und fortfährt zu geschehn.

TEMPELHERR

Ich glaubte, das
Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung
Bloß zu vernehmen.

PATRIARCH

Eins? — Da seh' der Herr,
Wie sich die stolze menschliche Vernunft
Im Geistlichen doch irren kann. — Mitnichten!
Denn ist der vorgetragene Fall nur so
Ein Spiel des Witzes, so verlohnt es sich
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
Ich will den Herrn damit auf das Theater
Verwiesen haben, wo dergleichen pro
Et contra sich mit vielem Beifall könnte
Behandeln lassen. — Hat der Herr mich aber
Nicht bloß mit einer theatral’schen Schnurre
Zum Besten; ist der Fall ein Faktum; hätt
Er sich wohl gar in unsrer Diözes',
In unsrer lieben Stadt Jerusalem,
Ereignet: — ja alsdann —

TEMPELHERR

Und was alsdann —

PATRIARCH

Dann wäre an dem Juden fördersamst
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
So einer Lastertat bestimmen.

TEMPELHERR

So?

PATRIARCH

Und zwar bestimmen obbesagte Rechte
Dem Juden, welcher einen Christen zur
Apostasie verführt — den Scheiterhaufen, —
Den Holzstoß —

TEMPELHERR

So?

PATRIARCH

Und wie vielmehr dem Juden,
Der mit Gewalt ein armes Christenkind
Dem Bunde seiner Tauf entreißt! Denn ist
Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? —
Zu sagen: — ausgenommen, was die Kirch'
An Kindern tut.

TEMPELHERR

Wenn aber nun das Kind,
Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?

PATRIARCH

Tut nichts! der Jude wird verbrannt. — Denn besser,
Es wäre hier im Elend umgekommen,
Als dass zu seinem ewigen Verderben
Es so gerettet ward. — Zudem, was hat
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
Kann, wen er retten will, schon ohn ihn retten.

TEMPELHERR

Auch trotz ihm, sollt ich meinen — selig machen.

PATRIARCH

Tut nichts! der Jude wird verbrannt.

TEMPELHERR

Das geht
Mir nah'! Besonders da man sagt, er habe
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
Und sie von Gott nicht mehr, nicht weniger
Gelehrt, als der Vernunft genügt.

PATRIARCH

Tut nichts!
Der Jude wird verbrannt … Ja, wär allein
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
Zu werden! — Was? ein Kind ohn allen Glauben
Erwachsen lassen? — Wie? die große Pflicht,
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?
Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter,
Euch selbst …

TEMPELHERR

Ehrwürd’ger Herr, das Übrige,
Wenn Gott will, in der Beichte.

/ will gehen /

PATRIARCH

Was? mir nun
Nicht einmal Rede stehn? — Den Bösewicht;
Den Juden mir nicht nennen? — mir ihn nicht
Zur Stelle schaffen? — O da weiß ich Rat!
Ich geh sogleich zum Sultan. — Saladin,
Vermöge der Kapitulation,
Die er beschworen, muss uns, muss uns schützen:
Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,
Die wir zu unsrer allerheiligsten
Religion nur immer rechnen dürfen!
Gottlob! wir haben das Original.
Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir! —
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie
Gefährlich selber für den Staat es ist,
Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande
Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn
Der Mensch nichts glauben darf. — Hinweg! hinweg
Mit solchem Frevel! …

TEMPELHERR

Schade, dass ich nicht
Den trefflichen Sermon mit bessrer Muße
Genießen kann! Ich bin zum Saladin
Gerufen.

PATRIARCH

Ja? — Nun so — Nun freilich — Dann —

TEMPELHERR

Ich will den Sultan vorbereiten, wenn
Es Euer Hochehrwürden so gefällt.

PATRIARCH

O, oh! — Ich weiß, der Herr hat Gnade fanden
Vor Saladin! Ich bitte meiner nur
Im Besten bei ihm eingedenk zu sein. —
Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.
Was ich zu viel tu, tu ich ihm. — Das wolle
Doch ja der Herr erwägen! — Und nicht wahr,
Herr Ritter, das vorhin Erwähnte von
Dem Juden war nur ein Problema? — ist
Zu sagen —

TEMPELHERR

Ein Problema.

/ Geht ab. /

PATRIARCH

(Dem ich tiefer
Doch auf den Grund zu kommen suchen muss.
Das wär so wiederum ein Auftrag für
Den Bruder Bonafides.) — Hier, mein Sohn!

/ Er spricht im Abgehen mit dem Klosterbruder. /

 

DRITTER AUFTRITT

/ Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen und auf dem Boden nebeneinander gestellt werden. Saladin und bald darauf Sittah. /

SALADIN

/ der dazu kommt /

Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. — Ist
Des Dings noch viel zurück?

EIN SKLAVE

Wohl noch die Hälfte.

SALADIN

So tragt das Übrige zu Sittah. — Und
Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich
Al-Hafi zu sich nehmen. Oder ob
Ich’s nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier
Fällt mir es doch nur durch die Finger. — Zwar
Man wird wohl endlich hart; und nun gewiss
Solls Künste kosten, mir viel abzuzwacken.
Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten
Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn,
Wie’s fertig wird! — Die Spenden bei dem Grabe,
Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger
Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen
Wenn nur —

SITTAH

Was soll nun das? Was soll das Geld
Bei mir?

SALADIN

Mach dich davon bezahlt; und leg
Auf Vorrat, wenn was übrig bleibt.

SITTAH

Ist Nathan
Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

SALADIN

Er sucht
Ihn aller Orten.

SITTAH

Sieh doch, was ich hier
Indem mir so mein alt Geschmeide durch
Die Hände geht, gefunden.

/ Ihm ein kleines Gemälde zeigend. /

SALADIN

Ha! mein Bruder!
Das ist er, ist er! — War er! war er! ah! —
Ah, wackrer lieber Junge, dass ich dich
So früh verlor! Was hätt ich erst mit dir,
An deiner Seit’ erst unternommen! — Sittah,
lass mir das Bild. Auch kenn ich’s schon: er gab
Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,
Die eines Morgens ihn so ganz und gar
Nicht aus den Armen lassen wollt. Es war
Der letzte, den er ausritt. — Ah, ich ließ
Ihn reiten, und allein! Ah, Lilla starb
Vor Gram, und hat mir’s nie vergeben, dass
Ich so allein ihn reiten lassen. — Er
Blieb weg!

SITTAH

Der arme Bruder!

SALADIN

Lass nur gut
Sein! — Einmal bleiben wir doch alle weg! —
Zudem, wer weiß? Der Tod ist’s nicht allein,
Der einem Jüngling seiner Art das Ziel
Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft
Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. — Nun,
Sei wie ihm sei! — Ich muss das Bild doch mit
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muss
Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie
Getäuscht.

SITTAH

Nur darum bring ich’s. Aber gib
Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das
Versteht ein weiblich Aug am besten.

SALADIN

/ zu einem Türsteher, der hereintritt /

Wer
Ist da? — der Tempelherr? — Er komm’!

SITTAH

Euch nicht
Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht
Zu irren —

/ Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen. /

SALADIN

Gut so! gut! — (Und nun sein Ton!
Wie der wohl sein wird! — Assads Ton
Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)

 

VIERTER AUFTRITT

/ Der Tempelherr und Saladin. /

TEMPELHERR

Ich, dein Gefangner, Sultan …

SALADIN

Mein Gefangner?
Wem ich das Leben schenke, werd ich dem
Nicht auch die Freiheit schenken?

TEMPELHERR

Was dir ziemt
Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
Vorauszusetzen. Aber, Sultan — Dank,
Besondern Dank dir für mein Leben zu
Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
Charakter nicht. — Es steht in allen Fällen
Zu deinen Diensten wieder.

SALADIN

Brauch es nur
Nicht wider mich! — Zwar ein Paar Hände mehr,
Die gönnt ich meinem Feinde gern. Allein
Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
Mir schwer. — Ich habe mich mit dir in nichts
Betrogen, braver junger Mann! Du bist
Mit Seel und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
In welchem Ginnistan, von welcher guten
Div diese Blume fort und fort so frisch
Erhalten worden? Sieht ich könnte dich
Erinnern wollen, was wir dort und dort
Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
Dir zanken, dass du *ein* Geheimnis doch
Vor mir gehabt! *ein* Abenteuer mir
Doch unterschlagen: — Ja, das könnt ich; wenn
Ich dich nur säh', und nicht auch mich. — Nun mag’s!
Von dieser süßen Träumerei ist immer
Doch so viel wahr, dass mir in meinem Herbst
Ein Assad wieder blühen soll. — Du bist
Es doch zufrieden, Ritter?

TEMPELHERR

Alles, was
Von dir mir kommt, — sei was es will — das lag
Als Wunsch in meiner Seele.

SALADIN

Lass uns das
Sogleich versuchen. — Bliebst du wohl bei mir?
Um mich? — Als Christ, als Muselmann: gleichviel!
Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;
Im Turban, oder deinem Filze: wie
Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt,
dass allen Bäumen *eine* Rinde wachse.

TEMPELHERR

Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

SALADIN

Nun denn; wenn du nicht schlechter von mir denkst,
So wären wir ja halb schon richtig?

TEMPELHERR

Ganz!

SALADIN

/ ihm die Hand bietend /

Ein Wort!

TEMPELHERR

/ einschlagend /

Ein Mann! — Hiermit empfange mehr
Als du mir nehmen konntest. Ganz der deine!

SALADIN

Zu viel Gewinn für *einen* Tag! zu viel! —
Kam er nicht mit?

TEMPELHERR

Wer?

SALADIN

Nathan.

TEMPELHERR

/ frostig /

Nein. Ich kam
Allein.

SALADIN

Welch eine Tat von dir! Und welch
Ein weises Glück, dass eine solche Tat
Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.

TEMPELHERR

Ja, ja!

SALADIN

So kalt? — Nein, junger Mann! wenn Gott
Was Gutes durch uns tut, muss man so kalt
Nicht sein! — selbst aus Bescheidenheit so kalt
Nicht scheinen wollen!

TEMPELHERR

Dass doch in der Welt
Ein jedes Ding so manche Seiten hat! —
Von denen oft sich gar nicht denken läßt,
Wie sie zusammenpassen!

SALADIN

Halte dich
Nur immer an die best’, und preise Gott!
Der weiß, wie sie zusammenpassen! Aber,
Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann,
So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut
Mich mit dir halten müssen? Leider bin
Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die
Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.

TEMPELHERR

Das schmerzt! — Denn Argwohn ist so wenig sonst
Mein Fehler —

SALADIN

Nun, so sage doch, mit wem
Du’s hast? — Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?
Auf Nathan Argwohn? du? — Erklär dich! sprich!
Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.

TEMPELHERR

Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn
Allein mit mir —

SALADIN

Und über was?

TEMPELHERR

Dass mir
Geträumt, ein Jude könn’ auch wohl ein Jude
Zu sein verlernen; dass mir wachend so
Geträumt.

SALADIN

Heraus mit diesem wachen Traume!

TEMPELHERR

Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was
Ich für sie tat, das tat ich, — weil ich’s tat.
Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn
Nicht säete, verschmäht ich Tag für Tag,
Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater
War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;
Er dankt; er wünscht, dass seine Tochter mir
Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht
Von heitern Fernen. — Nun, ich lasse mich
Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich
Ein Mädchen … Ah, ich muss mich schämen, Sultan! —

SALADIN

Dich schämen! — dass ein Judenmädchen auf
Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

TEMPELHERR

Dass diesem Eindruck, auf das liebliche
Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz
So wenig Widerstand entgegensetzte! —
Ich Tropf! ich sprang zum zweiten Mal ins Feuer. —
Denn nun warb *ich*, und nun ward *ich* verschmäht.

SALADIN

Verschmäht?

TEMPELHERR

Der weise Vater schlägt nun wohl
Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater
muss aber doch sich erst erkunden, erst
Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das
Nicht auch? Erkundete, besann ich denn
Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie? —
Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,
So weise, so bedächtig sein!

SALADIN

Nun, nun!
So sieh doch einem Alten etwas nach!
Wie lange können seine Weigerungen
Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,
dass du erst Jude werden sollst?

TEMPELHERR

Wer weiß!

SALADIN

Wer weiß? — der diesen Nathan besser kennt.

TEMPELHERR

Der Aberglaube in dem wir aufgewachsen,
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
Doch seine Macht nicht über uns. — Es sind
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

SALADIN

Sehr reif bemerkt! Doch Nathan, wahrlich Nathan …

TEMPELHERR

Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
Für den erträglichern zu halten … —

SALADIN

Mag
Wohl sein! Doch Nathan …

TEMPELHERR

Dem allein
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem
Allein …

SALADIN

Gut! Aber Nathan! Nathans Los
Ist diese Schwachheit nicht.

TEMPELHERR

So dacht ich auch!…
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
So ein gemeiner Jude wäre, dass
Er Christenkinder zu bekommen suchte,
Um sie als Juden aufzuziehn — wie dann?

SALADIN

Wer sagt ihm so was nach?

TEMPELHERR

Das Mädchen selbst,
Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung
Er gern mir zu bezahlen schiene, was
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: —
Dies Mädchen selbst, ist seine Tochter — nicht;
Ist ein verzettelt Christenkind.

SALADIN

Das er
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

TEMPELHERR

/ heftig /

Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
Ich werde hinter diesen jüd’schen Wolf
Im philosoph’schen Schafspelz Hunde schon
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

SALADIN

/ ernst /

Sei ruhig, Christ!

TEMPELHERR

Was? Ruhig Christ? Wenn Jud’
Und Muselmann auf Jud’, auf Muselmann
Bestehen: soll allein der Christ den Christen
Nicht machen dürfen?

SALADIN

/ noch ernster /

Ruhig, Christ!

TEMPELHERR

Ich fühle
Des Vorwurfs ganze Last, — die Saladin
In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,
Wie Assad, — Assad sich an meiner Stelle
Hierbei genommen hätte!

SALADIN

Nicht viel besser! —
Vermutlich, ganz so brausend! — Doch, wer hat
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
Mit *einem* Worte zu bestechen? Freilich,
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. —
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
muss keiner mit dem andern hadern. — lass
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm
Zu rächen, mir so nahe legen würde!
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
Zum Trotz ein Christ!

TEMPELHERR

Bald wär’s damit zu spät!
Doch Dank der Blutbegier des Patriarchen,
Des Werkzeug mir zu werden graute!

SALADIN

Wie?
Du kamst zum Patriarchen eher, als
Zu mir?

TEMPELHERR

Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
Der Unentschlossenheit! — Verzeih! — Du wirst
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
Nichts mehr in mir erkennen wollen.

SALADIN

Wär
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
Bei mir dir wenig schaden. Aber geh!
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
Und bring ihn her. Ich muss Euch doch zusammen
Verständigen. — Wär um das Mädchen dir
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
Auch soll es Nathan schon empfinden, dass
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
Erziehen dürfen! — Geh!

/ Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlässt den Sofa. /

 

FÜNFTER AUFTRITT

/ Saladin und Sittah. /

SITTAH

Ganz sonderbar!

SALADIN

Gelt, Sittah? muss mein Assad nicht ein braver,
Ein schöner junger Mann gewesen sein?

SITTAH

Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde
Der Tempelherr vielmehr gesessen! — Aber
Wie hast du doch vergessen können, dich
Nach seinen Eltern zu erkundigen?

SALADIN

Und insbesondere wohl nach seiner Mutter?
Ob seine Mutter hierzulande nie
Gewesen sei? — Nicht wahr?

SITTAH

Das machst du gut!

SALADIN

O, möglicher wär nichts! Denn Assad war
Bei hübschen Christendamen so willkommen,
Auf hübsche Christendamen so erpicht,
Dass einmal gar die Rede ging — Nun, nun;
Man spricht nicht gern davon. — Genug; ich hab
Ihn wieder! — will mit allen seinen Fehlern,
Mit allen Launen seines weichen Herzens
Ihn wieder haben! — O! das Mädchen muss
Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?

SITTAH

Ihm geben?
Ihm lassen!

SALADIN

Allerdings! Was hätte Nathan,
Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht
Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt,
Tritt einzig in die Rechte des, der ihr
Es gab.

SITTAH

Wie also, Saladin? wenn du
Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur
Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich
Entzögest?

SALADIN

Täte das wohl Not?

SITTAH

Not nun
Wohl eben nicht! — Die liebe Neubegier
Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben.
Denn von gewissen Männern mag ich gar
Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was
Sie für ein Mädchen lieben können.

SALADIN

Nun,
So schick und lass sie holen.

SITTAH

Darf ich, Bruder?

SALADIN

Nur schone Nathans! Nathan muss durchaus
Nicht glauben, dass man mit Gewalt ihn von
Ihr trennen wolle.

SITTAH

Sorge nicht.

SALADIN

Und ich,
Ich muss schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.

 

SECHSTER AUFTRITT

/ Szene: Die offene Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu; wie im ersten Auftritt des ersten Aufzuges. Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren eben daselbst gedacht wird. Nathan und Daja. /

DAJA

O, alles herrlich! alles auserlesen!
O, alles — wie nur Ihr es geben könnt.
Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken
Gemacht? Was kostet er? — Das nenn ich noch
Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt
Es besser.

NATHAN

Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

DAJA

Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,
Als Ihr ihn kauftet. — Aber wahrlich, Nathan,
Der und kein andrer muss es sein! Er ist
Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund:
Ein Bild der Unschuld; und die goldnen Ströme,
Die allerorten diesen Grund durchschlängeln:
Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!

NATHAN

Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid
Sinnbilderst du mir so gelehrt? — Bist du
Denn Braut?

DAJA

Ich?

NATHAN

Nun wer denn?

DAJA

Ich? — Lieber Gott!

NATHAN

Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn?
Das alles ist ja dein, und keiner andern.

DAJA

Ist mein? Soll mein sein? — Ist für Recha nicht?

NATHAN

Was ich für Recha mitgebracht, das liegt
In einem andern Ballen. Mach! nimm weg!
Trag deine Siebensachen fort!

DAJA

Versucher!
Nein, wären es die Kostbarkeiten auch
Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir
Vorher nicht schwört, von dieser einzigen
Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel
Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.

NATHAN

Gebrauch? von was? — Gelegenheit? wozu?

DAJA

O stellt Euch nicht so fremd! — Mit kurzen Worten:
Der Tempelherr liebt Recha; gebt sie ihm!
So hat doch einmal Eure Sünde, die
Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende.
So kommt das Mädchen wieder unter Christen;
Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was
Sie war; und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten,
Das wir Euch nicht genug verdanken können,
Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt
Gesammelt.

NATHAN

Doch die alte Leier wieder? —
Mit einer neuen Saite nur bezogen,
Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.

DAJA

Wieso?

NATHAN

Mir wär der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt
Ich Recha mehr als einem in der Welt.
Allein … Nun, habe nur Geduld.

DAJA

Geduld?
Geduld, ist Eure alte Leier nun
Wohl nicht?

NATHAN

Nur wenig Tage noch Geduld!…
Sieh doch! — Wer kommt denn dort? Ein Klosterbruder?
Geh, frag ihn, was er will.

DAJA

Was wird er wollen?
Sie geht auf ihn zu und fragt.

NATHAN

So gib! — und eh er bittet. — (Wüsst ich nur
Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne
Die Ursach meiner Neugier ihm zu sagen!
Denn wenn ich sie ihm sag, und der Verdacht
Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst
Den Vater auf das Spiel gesetzt) — Was ist’s?

DAJA

Er will Euch sprechen.

NATHAN

Nun, so lass ihn kommen;
Und geh indes.

 

SIEBENTER AUFTRITT

/ Nathan und der Klosterbruder. /

NATHAN

(Ich bliebe Rechas Vater
Doch gar zu gern! — Zwar kann’ ich’s denn nicht bleiben,
Auch wenn ich aufhör, es zu heißen? — Ihr,
Ihr selbst werd ich’s doch immer auch noch heißen,
Wenn sie erkennt, wie gern ich’s wäre.) — Geh! —
Was ist zu Euren Diensten, frommer Bruder?

KLOSTERBRUDER

Nicht eben viel. — Ich freue mich, Herr Nathan,
Euch annoch wohl zu sehn.

NATHAN

So kennt Ihr mich?

KLOSTERBRUDER

Je nun; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem
Ja Euern Namen in die Hand gedrückt.
Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.

NATHAN

/ nach seinem Beutel langend /

Kommt, Bruder, kommt; ich frisch’ ihn auf.

KLOSTERBRUDER

Habt Dank!
Ich würd’ es Ärmern stehlen; nehme nichts. —
Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig
Euch *meinen* Namen aufzufrischen. Denn
Ich kann mich rühmen, auch in *Eure* Hand
Etwas gelegt zu haben, was nicht zu
Verachten war.

NATHAN

Verzeiht! — Ich schäme mich —
Sagt, was? — und nehmt zur Buße siebenfach
Den Wert desselben von mir an.

KLOSTERBRUDER

Hört doch
Vor allen Dingen, wie ich selber nur
Erst heut’ an dies mein Euch vertrautes Pfand
Erinnert worden.

NATHAN

Mir vertrautes Pfand?

KLOSTERBRUDER

Vor Kurzem saß ich noch als Eremit
Auf Quarantana, unweit Jericho.
Da kam arabisch Raubgesindel, brach
Mein Gotteshäuschen ab, und meine Zelle,
Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam
Ich noch, und floh hierher zum Patriarchen,
Um mir ein ander Plätzchen auszubitten,
Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit
Bis an mein selig Ende dienen könne.

NATHAN

Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht
Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!

KLOSTERBRUDER

Sogleich, Herr Nathan. — Nun, der Patriarch
Versprach mir eine Siedelei auf Tabor,
Sobald als eine leer; und hieß inzwischen
Im Kloster mich als Laienbruder bleiben.
Da bin ich jetzt, Herr Nathan; und verlange
Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn
Der Patriarch braucht mich zu allerlei,
Wovor ich großen Ekel habe. Zum
Exempel:

NATHAN

Macht, ich bitt Euch!

KLOSTERBRUDER

Nun, es kommt! —
Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt:
Es lebe hierherum ein Jude, der
Ein Christenkind als seine Tochter sich
Erzöge.

NATHAN (betroffen)

Wie?

KLOSTERBRUDER

Hört mich nur aus! — Indem
Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks,
Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und
Gewaltig sich ob eines solchen Frevels
Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider
Den heiligen Geist bedünkt; — das ist, die Sünde,
Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt;
Nur dass wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen,
Worin sie eigentlich besteht: — da wacht
Mit einmal mein Gewissen auf; und mir
Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten
Zu dieser unverzeihlich großen Sünde
Gelegenheit gegeben haben. — Sagt:
Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren
Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?

NATHAN

Wie das? — Nun freilich — allerdings —

KLOSTERBRUDER

Ei, seht
Mich doch recht an! — Der Reitknecht, der bin ich!

NATHAN

Seid Ihr?

KLOSTERBRUDER

Der Herr, von welchem ich’s Euch brachte,
War — ist mir recht — ein Herr von Filneck. — Wolf
Von Filneck.

NATHAN

Richtig!

KLOSTERBRUDER

Weil die Mutter kurz
Vorher gestorben war, und sich der Vater
Nach — mein ich — Gazza plötzlich werfen musste,
Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte,
So sandt er's Euch. Und traf ich Euch damit
Nicht in Darun?

NATHAN

Ganz recht!

KLOSTERBRUDER

Es wär kein Wunder,
Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe
Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem
Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient.
Er blieb bald drauf bei Askalon; und war
Wohl sonst ein lieber Herr.

NATHAN

Jawohl! jawohl!
Dem ich so viel, so viel zu danken habe!
Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!

KLOSTERBRUDER

O schön! So werd’t Ihr seines Töchterchens
Euch um so lieber angenommen haben.

NATHAN

Das könnt Ihr denken.

KLOSTERBRUDER

Nun, wo ist es denn?
Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben? —
Lasst’s lieber nicht gestorben sein! — Wenn sonst
Nur niemand um die Sache weiß, so hat
Es gute Wege.

NATHAN

Hat es?

KLOSTERBRUDER

Traut mir, Nathan!
Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,
Das ich zu tun vermeine, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt, so tu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weitem nicht das Gute. — War ja wohl
Natürlich; wenn das Christentöchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden sollte,
dass Ihr’s als Euer eigen Töchterchen
Erzögt. — Das hättet Ihr mit aller Lieb'
Und Treue nun getan, und müßtet so
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan,
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
Als Christin auferziehen lassen: aber
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,
In solchen Jahren mehr als Christentum.
Zum Christentume hat’s noch immer Zeit.
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
So blieb’s vor Gottes Augen, was es war.
Und ist denn nicht das ganze Christentum
Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft
Geärgert, hat mir Tränen g’nug gekostet,
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
dass unser Herr ja selbst ein Jude war.

NATHAN

Ihr, guter Bruder, müsst mein Fürsprach sein,
Wenn Hass und Gleisnerei sich gegen mich
Erheben sollten — wegen einer Tat —
Ah, wegen einer Tat! — Nur Ihr, Ihr sollt
Sie wissen! Nehmt sie aber mit ins Grab!
Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,
Sie jemand anderm zu erzählen. Euch
Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt
Allein erzähl ich sie. Weil die allein
Versteht, was sich der gottergebne Mensch
Für Taten abgewinnen kann.

KLOSTERBRUDER

Ihr seid
Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?

NATHAN

Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wisst wohl aber nicht, dass wenig Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wisst
Wohl nicht, dass unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruders Hause,
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen.

KLOSTERBRUDER

Allgerechter!

NATHAN

Als
Ihr kamt, hatt ich drei Tag' und Nächt’ in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. —
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht:
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Hass zugeschworen —

KLOSTERBRUDER

Ach! Ich glaub’s Euch wohl!

NATHAN

Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm’: „Und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluss das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast;
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!” Ich stand und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, dass ich will! — Indem stiegt Ihr
Vom Pferd’, und überreichtet mir das Kind,
ln Euerm Mantel eingehüllt. — Was Ihr
Mir damals sagtet, was ich Euch: hab ich
Vergessen. So viel weiß ich nur: ich nahm
Das Kind, trug’s auf mein Lager, küsst es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!

KLOSTERBRUDER

Nathan! Nathan!
Ihr seid ein Christ! — Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein bessrer Christ war nie!

NATHAN

Wohl uns! Denn was
Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir
Zum Juden! — Aber lasst uns länger nicht
Einander nur erweichen. Hier braucht’s Tat!
Und ob mich siebenfache Liebe schon
Bald an dies einz’ge fremde Mädchen band;
Ob der Gedanke mich schon tötet, dass
Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs Neue
Verlieren soll: — wenn sie von meinen Händen
Die Vorsicht wieder fordert — ich gehorche!

KLOSTERBRUDER

Nun vollends! — Eben das bedacht ich mich
So viel, Euch anzuraten! Und so hat's
Euch Euer guter Geist schon angeraten!

NATHAN

Nur muss der erste Beste mir sie nicht
Entreißen wollen!

KLOSTERBRUDER

Nein, gewiss nicht!

NATHAN

Wer
Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich,
muss frühere zum mind’sten haben —

KLOSTERBRUDER

Freilich!

NATHAN

Die ihm Natur und Blut erteilen.

KLOSTERBRUDER

So
Mein ich es auch!

NATHAN

Drum nennt mir nur geschwind
Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm,
Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt:
Ihm will ich sie nicht vorenthalten — sie,
Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde
Zu sein erschaffen und erzogen ward. —
Ich hoff, Ihr wisst von diesem Euern Herrn
Und dem Geschlechte dessen mehr als ich.

KLOSTERBRUDER

Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! — Denn
Ihr habt ja schon gehört, dass ich nur gar
Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.

NATHAN

Wisst
Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts
Die Mutter war? — War sie nicht eine Stauffin?

KLOSTERBRUDER

Wohl möglich! — Ja, mich dünkt.

NATHAN

Hieß nicht ihr Bruder
Conrad von Stauffen? — und war Tempelherr?

KLOSTERBRUDER

Wenn mich’s nicht trügt. Doch halt! Da fällt mir ein,
Dass ich vom sel’gen Herrn ein Büchelchen
Noch hab. Ich zog’s ihm aus dem Busen, als
Wir ihn bei Askalon verscharrten.

NATHAN

Nun?

KLOSTERBRUDER

Es sind Gebete drin. Wir nennen’s ein
Brevier — Das, dacht ich, kann ein Christenmensch
Ja wohl noch brauchen. — Ich nun freilich nicht —
Ich kann nicht lesen —

NATHAN

Tut nichts! — Nur zur Sache.

KLOSTERBRUDER

In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten,
Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn
Selbsteigner Hand, die Angehörigen
Von ihm und ihr geschrieben.

NATHAN

O erwünscht!
Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind!
Ich bin bereit, mit Gold es aufzuwiegen;
Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!

KLOSTERBRUDER

Recht gern!
Es ist Arabisch aber, was der Herr
Hineingeschrieben.

/ Ab. /

NATHAN

Einerlei! Nur her!
Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten,
Und einen solchen Eidam mir damit
Erkaufen könnte! — Schwerlich wohl! — Nun, fall'
Es aus, wie’s will! — Wer mag es aber denn
Gewesen sein, der bei dem Patriarchen
So etwas angebracht? Das muss ich doch
Zu fragen nicht vergessen. — Wenn es gar
Von Daja käme?

 

ACHTER AUFTRITT

/ Daja und Nathan. /

DAJA

/ eilig und verlegen /

Denkt doch, Nathan!

NATHAN

Nun?

DAJA

Das arme Kind erschrak wohl recht darüber!
Da schickt …

NATHAN

Der Patriarch?

DAJA

Des Sultans Schwester,
Prinzessin Sittah …

NATHAN

Nicht der Patriarch?

DAJA

Nein, Sittah! — Hört Ihr nicht? — Prinzessin Sittah
Schickt her, und lässt sie zu sich holen.

NATHAN

Wen?
Lässt Recha holen? — Sittah lässt sie holen? —
Nun, wenn sie Sittah holen lässt, und nicht
Der Patriarch …

DAJA

Wie kommt Ihr denn auf den?

NATHAN

So hast du kürzlich nichts von ihm gehört?
Gewiss nicht? Auch ihm nichts gesteckt?

DAJA

Ich? ihm?

NATHAN

Wo sind die Boten?

DAJA

Vorn.

NATHAN

Ich will sie doch
Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! — Wenn nur
Vom Patriarchen nichts dahinter steckt.

/ Ab. /

DAJA

Und ich — ich fürchte ganz was anders noch.
Was gilt’s? die einzige vermeinte Tochter
So eines reichen Juden wär auch wohl
Für einen Muselmann nicht übel? — Hui,
Der Tempelherr ist drum. Ist drum, wenn ich
Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht
Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist! —
Getrost! Lass mich den ersten Augenblick,
Den ich allein sie habe, dazu brauchen!
Und der wird sein — vielleicht nun eben, wenn
Ich sie begleite. — So ein erster Wink
Kann unterwegens wenigstens nicht schaden.
Ja, ja! Nur zu! Jetzt oder nie! Nur zu!

/ Ihm nach. /

 

FÜNFTER AUFZUG

 

ERSTER AUFTRITT

/ Szene: Das Zimmer in Saladins Palaste, in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen. Saladin und bald darauf verschiedene Mamelucken. /

SALADIN

/ im Hereintreten /

Da steht das Geld nun noch! Und niemand weiß
Den Derwisch aufzufinden, der vermutlich
Ans Schachbrett irgendwo geraten ist,
Das ihn wohl seiner selbst vergessen macht; —
Warum nicht meiner? — Nun, Geduld! Was gibt’s?

EIN MAMELUCK

Erwünschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan!
Die Karavane von Kahira kommt;
Ist glücklich da! mit siebenjährigem
Tribut des reichen Nils.

SALADIN

Brav, Ibrahim!
Du bist mir wahrlich ein willkommner Bote! —
Ha! endlich einmal! endlich! — Habe Dank
Der guten Zeitung.

DER MAMELUCK

/ wartend /

(Nun? nur her damit!)

SALADIN

Was wart’st du? — Geh nur wieder.

DER MAMELUCK

Dem Willkommnen
Sonst nichts?

SALADIN

Was denn noch sonst?

DER MAMELUCK

Dem guten Boten
Kein Botenbrot? — So wär ich ja der Erste,
Den Saladin mit Worten abzulohnen
Doch endlich lernte! — Auch ein Ruhm! Der Erste,
Mit dem er knickerte.

SALADIN

So nimm dir nur
Dort einen Beutel.

DER MAMELUCK

Nein, nun nicht! Du kannst
Mir nun sie alle schenken wollen.

SALADIN

Trotz! —
Komm her! Da hast du zwei. — Im Ernst? Er geht?
Tut mir’s an Edelmut zuvor? Denn sicher
muss ihm es saurer werden, auszuschlagen,
Als mir zu geben. — Ibrahim! — Was kommt
Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt
Auf einmal ganz ein andrer sein zu wollen? —
Will Saladin als Saladin nicht sterben? —
So musst er auch als Saladin nicht leben.

EIN ZWEITER MAMELUCK

Nun, Sultan! …

SALADIN

Wenn du mir zu melden kommst…

ZWEITER MAMELUCK

Dass aus Ägypten der Transport nun da!

SALADIN

Ich weiß schon.

ZWEITER MAMELUCK

Kam ich doch zu spät!

SALADIN

Warum
Zu spät? — Da nimm für deinen guten Willen
Der Beutel einen oder zwei.

ZWEITER MAMELUCK

Macht drei.

SALADIN

Ja, wenn du rechnen kannst! — So nimm sie nur.

ZWEITER MAMELUCK

Es wird wohl noch ein Dritter kommen — wenn
Er anders kommen kann.

SALADIN

Wie das?

ZWEITER MAMELUCK

Je nu!
Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn
Sobald wir drei der Ankunft des Transports
Versichert waren, sprengte jeder frisch
Davon. Der Vorderste, der stürzt; und so
Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in
Die Stadt; wo aber Ibrahim, der Lecker,
Die Gassen besser kennt.

SALADIN

O der Gestürzte!
Freund, der Gestürzte! — Reit’ ihm doch entgegen.

ZWEITER MAMELUCK

Das werd ich ja wohl tun! — Und wenn er lebt,
So ist die Hälfte dieser Beutel sein.

/ Geht ab. /

SALADIN

Sieh, welch ein guter edler Kerl auch das! —
Wer kann sich solcher Mamelucken rühmen?
Und wär mir denn zu denken nicht erlaubt,
Dass sie mein Beispiel bilden helfen? — Fort
Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt
Noch an ein andres zu gewöhnen! …

EIN DRITTER MAMELUCK

Sultan…

SALADIN

Bist du's, der stürzte?

DRITTER MAMELUCK

Nein. Ich melde nur, —
Dass Emir Mansor, der die Karavane
Geführt, vom Pferde steigt …

SALADIN

Bring ihn! geschwind! —
Da ist er ja! —

 

ZWEITER AUFTRITT

/ Emir Mansor und Saladin. /

SALADIN

Willkommen, Emir! Nun,
Wie ist’s gegangen? — Mansor, Mansor, hast
Uns lange warten lassen!

MANSOR

Dieser Brief
Berichtet, was dein Abulkassem erst
Für Unruh' in Thebais dämpfen müssen:
Eh wir es wagen durften abzugehen.
Den Zug darauf hab ich beschleuniget,
So viel wie möglich war.

SALADIN

Ich glaube dir! —
Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich …
Du tust es aber doch auch gern? … nimm frische
Bedeckung nur sogleich. Du musst sogleich
Noch weiter; musst der Gelder größern Teil
Auf Libanon zum Vater bringen.

MANSOR

Gern!
Sehr gern!

SALADIN

Und nimm dir die Bedeckung ja
Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon
Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht
Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege.
Sei wohl auf deiner Hut! — Komm nur! Wo hält
Der Zug? Ich will ihn sehn; und alles selbst
Betreiben. — Ihr! ich bin sodann bei Sittah.

 

Dritter Auftritt

/ Szene: die Palmen vor Nathans Hause. Der Tempelherr geht auf und nieder. /

Ins Haus nun will ich einmal nicht. — Er wird
Sich endlich doch wohl sehen lassen! Man
Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! —
Will’s noch erleben, dass er sich’s verbittet,
Vor seinem Hause mich so fleißig finden
Zu lassen. — Hm! — ich bin doch aber auch
Sehr ärgerlich. — Was hat mich denn nun so
Erbittert gegen ihn? — Er sagte ja:
Noch schlüg’ er mir nichts ab. Und Saladin
Hat’s über sich genommen, ihn zu stimmen. —
Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ
Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude? —
Wer kennt sich recht! Wie könnt ich ihm denn sonst
Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den
Er sich’s zu solcher Angelegenheit
Gemacht, den Christen abzujagen? Freilich,
Kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! — Geschöpf?
Und wessen? — Doch des Sklaven nicht, der auf
Des Lebens öden Strand den Block geflößt,
Und sich davon gemacht? Des Künstlers doch
Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke
Die göttliche Gestalt sich dachte, die
Er dargestellt? — Ach! Rechas wahrer Vater
Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte — bleibt
In Ewigkeit der Jude. — Wenn ich mir
Sie lediglich als Christendirne denke,
Sie sonder alles das mir denke, was
Allein ihr so ein Jude geben konnte: —
Sprich, Herz, — was wär an ihr, das dir gefiel?
Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär es nichts
Als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln;
Wär, was sie lächeln macht, des Reizes unwert,
In den es sich auf ihrem Munde kleidet: —
Nein, selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja
Wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand,
An Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler
Verschwenden sehn! — Hat’s da mich auch bezaubert?
Hat’s da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben
In seinem Sonnenscheine zu verflattern? —
Ich wüßte nicht! Und bin auf den doch launisch,
Der diesen hohem Wert allein ihr gab?
Wie das? warum? — Wenn ich den Spott verdiente,
Mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm
Genug, dass Saladin es glauben konnte!
Wie klein ich ihm da scheinen musste! wie
Verächtlich! — Und das alles um ein Mädchen? —
Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends
Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte,
Was schwerlich zu erweisen stünde? — Sieh,
Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft,
Aus seinem Hause! — Ha! mit wem! — Mit ihm?
Mit meinem Klosterbruder? — Ha! so weiß
Er sicherlich schon alles! ist wohl gar
Dem Patriarchen schon verraten! — Ha!
Was hab ich Querkopf nun gestiftet! — dass
Ein einz’ger Funken dieser Leidenschaft
Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann!
Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun!
Ich will hier seitwärts ihrer warten; ob
Vielleicht der Klosterbruder ihn verlässt.

 

VIERTER AUFTRITT

/ Nathan und der Klosterbruder. /

NATHAN

/ ihm näher kommend /

Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!

KLOSTERBRUDER

Und Ihr desgleichen!

NATHAN

Ich? von Euch? wofür?
Für meinen Eigensinn, Euch aufzudringen,
Was Ihr nicht braucht? — Ja, wenn ihm Eurer nur
Auch nachgegeben hätt; Ihr mit Gewalt
Nicht wolltet reicher sein, als ich.

KLOSTERBRUDER

Das Buch
Gehört ja ohnedem nicht mir; gehört
Ja ohnedem der Tochter; ist ja so
Der Tochter ganzes väterliches Erbe. —
Je nun, sie hat ja Euch. — Gott gebe nur,
dass Ihr es nie bereuen dürft, so viel
Für sie getan zu haben!

NATHAN

Kann ich das?
Das kann ich nie. Seid unbesorgt!

KLOSTERBRUDER

Nu, nu!
Die Patriarchen und die Tempelherren …

NATHAN

Vermögen mir des Bösen nie so viel
Zu tun, dass irgendwas mich reuen könnte:
Geschweige, das! Und seid Ihr denn so ganz
Versichert, dass ein Tempelherr es ist,
Der Euern Patriarchen hetzt?

KLOSTERBRUDER

Es kann
Beinah kein andrer sein. Ein Tempelherr
Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hörte,
Das klang danach.

NATHAN

Es ist doch aber nur
Ein einziger jetzt in Jerusalem.
Und diesen kenn ich. Dieser ist mein Freund.
Ein junger, edler, offner Mann!

KLOSTERBRUDER

Ganz recht;
Der nämliche! — Doch was man ist, und was
Man sein muss in der Welt, das passt ja wohl
Nicht immer.

NATHAN

Leider nicht. — So tue, wer’s
Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes!
Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen:
Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.

KLOSTERBRUDER

Viel Glücks! Ich will Euch denn nur hier verlassen.

NATHAN

Und habt sie nicht einmal gesehn! — Kommt ja
Doch bald, doch fleißig wieder. — Wenn nur heut
Der Patriarch noch nichts erfährt! — Doch was?
Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt.

KLOSTERBRUDER

Ich nicht.
Lebt wohl!

/ Geht ab. /

NATHAN

Vergesst uns ja nicht, Bruder! — Gott!
dass ich nicht hier gleich unter freiem Himmel
Auf meine Kniee sinken kann! Wie sich
Der Knoten, der so oft mir bange machte,
Nun von sich selber löset! — Gott! wie leicht
Mir wird, dass ich nun weiter auf der Welt
Nichts zu verbergen habe! dass ich vor
Den Menschen nun so frei kann wandeln, als
Vor dir, der du allein den Menschen nicht
Nach seinen Taten brauchst zu richten.
So selten seine Taten sind, o Gott! —

 

FÜNFTER AUFTRITT

/ Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn znkommt. /

TEMPELHERR

He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

NATHAN

Wer ruft? —
Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, dass
Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?

TEMPELHERR

Wir sind einander fehl gegangen. Nehmt’s
Nicht übel!

NATHAN

Ich nicht; aber Saladin…

TEMPELHERR

Ihr wart nur eben fort …

NATHAN

Und spracht ihn doch?
Nun, so ist’s gut.

TEMPELHERR

Er will uns aber beide
Zusammen sprechen.

NATHAN

Desto besser. Kommt
Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm. —

TEMPELHERR

Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer
Euch da verließ?

NATHAN

Ihr kennt ihn doch wohl nicht?

TEMPELHERR

War’s nicht die gute Haut, der Laienbruder,
Des sich der Patriarch so gern zum Stöber
Bedient?

NATHAN

Kann sein! Beim Patriarchen ist
Er allerdings.

TEMPELHERR

Der Pfiff ist gar nicht übel:
Die Einfalt vor der Schurkerei voraus
Zu schicken.

NATHAN

Ja, die dumme; — nicht die fromme.

TEMPELHERR

An fromme glaubt kein Patriarch.

NATHAN

Für den
Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen
Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.

TEMPELHERR

So stellt er wenigstens sich an. — Doch hat
Er Euch von mir denn nichts gesagt?

NATHAN

Von Euch?
Von Euch nun namentlich wohl nichts. — Er weiß
Ja wohl auch schwerlich Euem Namen?

TEMPELHERR

Schwerlich.

NATHAN

Von einem Tempelherren freilich hat
Er mir gesagt …

TEMPELHERR

Und was?

NATHAN

Womit er Euch
Doch ein für allemal nicht meinen kann!

TEMPELHERR

Wer weiß? Lasst doch nur hören.

NATHAN

Dass mich einer
Bei seinem Patriarchen angeklagt …

TEMPELHERR

Euch angeklagt? — Das ist, mit seiner Gunst —
Erlogen. — Hört mich, Nathan! — Ich bin nicht
Der Mensch, der irgendetwas abzuleugnen
Im Stande wäre. Was ich tat, das tat ich!
Doch bin ich auch nicht der, der alles, was
Er tat, als wohlgetan verteid’gen möchte.
Was sollt ich eines Fehls mich schämen? Hab
Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?
Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem
Es Menschen bringen können? — Hört mich, Nathan! —
Ich bin des Laienbruders Tempelherr,
Der Euch verklagt soll haben, allerdings. —
Ihr wisst ja, was mich wurmisch machte! was
Mein Blut in allen Adern sieden machte!
Ich Gauch! — Ich kam, so ganz mit Leib und Seel
Euch in die Arme mich zu werfen. Wie
Ihr mich empfingt — Wie kalt — wie lau — denn lau
Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen
Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;
Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen
Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:
Das darf ich kaum mir jetzt noch denken, wenn
Ich soll gelassen bleiben. — Hört mich, Nathan! —
In dieser Gährung schlich mir Daja nach,
Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf,
Das mir den Aufschluss Euers rätselhaften
Betragens zu enthalten schien.

NATHAN

Wie das?

TEMPELHERR

Hört mich nur aus! — Ich bildete mir ein:
Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen
So abgejagt, an einen Christen wieder
Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,
Euch kurz und gut das Messer an die Kehle
Zu setzen.

NATHAN

Kurz und gut? und gut? — Wo steckt
Das Gute?

TEMPELHERR

Hört mich, Nathan! — Allerdings:
Ich tat nicht recht! — Ihr seid wohl gar nicht schuldig. —
Die Närrin Daja weiß nicht, was sie spricht —
Ist Euch gehässig — sucht Euch nur damit
In einen bösen Handel zu verwickeln —
Kann sein! kann sein! — Ich bin ein junger Laffe,
Der immer nur an beiden Enden schwärmt;
Bald viel zu viel, bald viel zu wenig tut —
Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.

NATHAN

Wenn
Ihr so mich freilich fasset —

TEMPELHERR

Kurz, ich ging
Zum Patriarchen! — Hab Euch aber nicht
Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!
Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein
Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. —
Auch das hätt unterbleiben können: ja doch! —
Denn kannt ich nicht den Patriarchen schon
Als einen Schurken? Könnt ich Euch nicht selber
Nur gleich zur Rede stellen? — musst ich der
Gefahr, so einen Vater zu verlieren,
Das arme Mädchen opfern? — Nun, was tut's!
Die Schurkerei des Patriarchen, die
So ähnlich immer sich erhält, hat mich
Des nächsten Weges wieder zu mir selbst
Gebracht. — Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! —
Gesetzt; er wüsst auch Euern Namen: was
Nun mehr, was mehr? — Er kann Euch ja das Mädchen
Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.
Er kann sie doch aus *Eurem* Hause nur
Ins Kloster schleppen. — Also — gebt sie mir!
Gebt sie nur mir, und lasst ihn kommen. Ha!
Er solls wohl bleiben lassen, mir mein Weib
Zu nehmen. — Gebt sie mir; geschwind! — Sie sei
Nun Eure Tochter, oder sei es nicht!
Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!
Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder jetzt
Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben
Darum befragen. Sei, wie’s sei!

NATHAN

Ihr wähnt
Wohl gar, dass mir die Wahrheit zu verbergen
Sehr nötig?

TEMPELHERR

Sei, wie’s sei!

NATHAN

Ich hab es ja
Euch — oder wem es sonst zu wissen ziemt —
Noch nicht geleugnet, dass sie eine Christin,
Und nichts als meine Pflegetochter ist. —
Warum ich’s aber ihr noch nicht entdeckt? —
Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu
Entschuldigen.

TEMPELHERR

Das sollt Ihr auch bei ihr
Nicht brauchen. — Gönnt’s ihr doch, dass sie Euch nie
Mit andern Augen darf betrachten! Spart
Ihr die Entdeckung doch! — Noch habt Ihr ja,
Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt
Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir!
Ich bin’s allein, der sie zum zweiten Male
Euch retten kann — und will.

NATHAN

Ja — konnte! konnte!
Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

TEMPELHERR

Wie so? Zu spät?

NATHAN

Dank sei dem Patriarchen…

TEMPELHERR

Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?
Dank hätte *der* bei uns verdienen wollen?
Wofür? wofür?

NATHAN

Dass wir nun wissen, wem
Sie anverwandt; nun wissen, wessen Händen
Sie sicher ausgeliefert werden kann.

TEMPELHERR

Das dank’ ihm — wer für mehr ihm danken wird!

NATHAN

Aus diesen müsst Ihr sie nun auch erhalten,
Und nicht aus meinen.

TEMPELHERR

Arme Recha! Was
Dir alles zustößt, arme Recha! Was
Ein Glück für andre Waisen wäre, wird
Dein Unglück! — Nathan! — Und wo sind sie, diese
Verwandte?

NATHAN

Wo sie sind?

TEMPELHERR

Und wer sie sind?

NATHAN

Besonders hat ein Bruder sich gefunden,
Bei dem Ihr um sie werben müsst.

TEMPELHERR

Ein Bruder?
Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?
Ein Geistlicher? — Lasst hören, was ich mir
Versprechen darf.

NATHAN

Ich glaube, dass er keines
Von beiden — oder beides ist. Ich kenn
Ihn noch nicht recht.

TEMPELHERR

Und sonst?

NATHAN

Ein braver Mann!
Bei dem sich Recha gar nicht übel wird
Befinden.

TEMPELHERR

Doch ein Christ! — Ich weiß zu Zeiten
Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: —
Nehmt mir’s nicht ungut, Nathan! — Wird sie nicht
Die Christin spielen müssen unter Christen?
Und wird sie, was sie lange g’nug gespielt,
Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,
Den Ihr gesä’t, das Unkraut endlich nicht
Ersticken? — Und das kümmert Euch so wenig?
Dem ungeachtet könnt Ihr sagen — Ihr? —
Dass sie bei ihrem Bruder sich nicht übel
Befinden werde?

NATHAN

Denk ich! hoff ich! — Wenn
Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat
Sie Euch und mich denn nicht noch immer?

TEMPELHERR

Oh!
Was wird bei ihm ihr mangeln können? Wird
Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,
Mit Naschwerk und mit Putz das Schwesterchen
Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht
Ein Schwesterchen denn mehr? — Ei freilich: auch
Noch einen Mann! — Nun, nun; auch den, auch den
Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit
Schon schaffen; wie er immer nur zu finden!
Der Christlichste der Beste! — Nathan, Nathan!
Welch einen Engel hattet Ihr gebildet,
Den Euch nun andre so verhunzen werden!

NATHAN

Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe
Noch immer wert genug behaupten.

TEMPELHERR

Sag
Das nicht! Von *meiner* Liebe sagt das nicht!
Denn die lässt nichts sich unterschlagen; nichts.
Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen! —
Doch halt! — Argwohnt sie wohl bereits, was mit
Ihr vorgeht?

NATHAN

Möglich; ob ich schon nicht wüsste,
Woher?

TEMPELHERR

Auch eben viel. Sie soll — sie muss
In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht,
Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke,
Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen,
Als bis ich sie die Meine nennen dürfe,
Fällt weg. Ich eile …

NATHAN

Bleibt! wohin?

TEMPELHERR

Zu ihr!
Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug
Wohl ist, den einzigen Entschluss zu fassen,
Der ihrer würdig wäre!

NATHAN

*Welchen?*

TEMPELHERR

Den:
Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht
Zu fragen —

NATHAN

Und?

TEMPELHERR

Und mir zu folgen; — wenn
Sie drüber eines Muselmannes Frau
Auch werden müsste.

NATHAN

Bleibt! Ihr trefft sie nicht;
Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.

TEMPELHERR

Seit wann? warum?

NATHAN

Und wollt Ihr da bei ihnen
Zugleich den Bruder finden, kommt nur mit.

TEMPELHERR

Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?

NATHAN

Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!

/ Er führt ihn fort. /

 

SECHSTER AUFTRITT

/ Szene: in Sittah’s Harem. Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen. /

SITTAH

Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen! —
Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! —
Sei munter! sei gesprächiger! vertrauter!

RECHA

Prinzessin …

SITTAH

Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn
Mich Sittah, — deine Freundin, — deine Schwester.
Nenn mich dein Mütterchen! — Ich könnte das
Ja schier auch sein. — So jung! so klug! so fromm!
Was du nicht alles weißt! nicht alles musst
Gelesen haben!

RECHA

Ich gelesen? — Sittah,
Du spottest deiner kleinen albern Schwester.
Ich kann kaum lesen.

SITTAH

Kannst kaum, Lügnerin!

RECHA

Ein wenig meines Vaters Hand! — Ich meinte,
Du sprächst von Büchern.

SITTAH

Allerdings! von Büchern.

RECHA

Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! —

SITTAH

Im Emst?

RECHA

In ganzem Ernst. Mein Vater liebt
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich
Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
Zu wenig.

SITTAH

Ei, Was sagst du! — Hat indes
Wohl nicht sehr Unrecht! — und so manches, was
Du weißt …?

RECHA

Weiß ich allein aus seinem Munde,
Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,
Wie? wo? warum? er mich’s gelehrt.

SITTAH

So hängt
Sich freilich alles besser an. So lernt
Mit eins die ganze Seele.

RECHA

Sicher hat
Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!

SITTAH

Wieso? — Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. —
Allein wieso? Dein Grund? Sprich dreist. Dein Grund?

RECHA

Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt
So ganz sich selbst nur ähnlich …

SITTAH

Nun?

RECHA

Das sollen
Die Bücher uns nur selten lassen; sagt
Mein Vater.

SITTAH

O was ist dein Vater für
Ein Mann!

RECHA

Nicht wahr?

SITTAH

Wie nah er immer doch
Zum Ziele trifft!

RECHA

Nicht wahr? — Und diesen Vater —

SITTAH

Was ist dir, Liebe?

RECHA

Diesen Vater —

SITTAH

Gott!
Du weinst?

RECHA

Und diesen Vater — Ah! es muss
Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft …

/ Wirft sich, von Tränen überwältigt, zu ihren Füßen. /

SITTAH

Kind, was
Geschieht dir? Recha?

RECHA

Diesen Vater soll —
Soll ich verlieren!

SITTAH

Du? verlieren? ihn?
Wie das? — Sei ruhig! — Nimmermehr! — Steh auf!

RECHA

Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,
Zu meiner Schwester nicht erboten haben!

SITTAH

Ich bin’s ja! bin’s! — Steh doch nur auf! Ich muss
Sonst Hülfe rufen.

RECHA

/ die sich ermannt und aufsteht /

Ah! verzeih! vergib! —
Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer
Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft
Will alles über sie allein vermögen.
Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!

SITTAH

Nun denn?

RECHA

Nein; meine Freundin, meine Schwester
Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, dass mir
Ein andrer Vater aufgedrungen werde!

SITTAH

Ein andrer Vater? aufgedrungen? Dir?
Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?

RECHA

Wer? Meine gute, böse Daja kann
Das wollen, — will das können. — Ja; du kennst
Wohl diese gute, böse Daja nicht?
Nun, Gott vergeb' es ihr! — belohn' es ihr!
Sie hat mir so viel Gutes, — so viel Böses
Erwiesen!

SITTAH

Böses dir? — so muss sie Gutes
Doch wahrlich wenig haben.

RECHA

Doch! recht viel,
Recht viel!

SITTAH

Wer ist sie?

RECHA

Eine Christin, die
In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so
Gepflegt! — Du glaubst nicht! — Die mir eine Mutter
So wenig missen lassen! — Gott vergelt'
Es ihr! — Die aber mich auch so geängstet!
Mich so gequält!

SITTAH

Und über was? warum?
Wie?

RECHA

Ach! die arme Frau, — ich sag dir's ja —
Ist eine Christin; — muss aus Liebe quälen
Ist eine von den Schwärmerinnen, die
Den allgemeinen, einzig wahren Weg
Nach Gott zu wissen wähnen!

SITTAH

Nun versteh ich!

RECHA

Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. —
Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,
Dass dieser Weg allein nur richtig führt:
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
Auf einem andern wandeln sehn, — der ins
Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
Es müsste möglich sein, denselben Menschen
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. —
Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen
Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt
Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, dass
Er den Gedanken nicht ertragen kann,
Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!

SITTAH

Sehr wahr!

RECHA

Allein — allein — das geht zu weit!
Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
Geduld, nicht Überlegung; nichts!

SITTAH

Was? wem?

RECHA

Was sie mir eben jetzt entdeckt will haben.

SITTAH

Entdeckt? und eben jetzt?

RECHA

Nur eben jetzt!
Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem
Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand,
Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald
Auf mich. Komm, sprach sie endlich, lass uns hier
Durch diesen Tempel in die Richte gehn!
Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift
Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
An den versunknen Stufen eines morschen
Altars mit ihr. Wie ward mir, als sie da
Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen
Zu meinen Füßen stürzte …

SITTAH

Gutes Kind!

RECHA

Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
So manch Gebet erhört, so manches Wunder
Verrichtet habe, mich beschwor, — mit Blicken
Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
Doch zu erbarmen! — Wenigstens, ihr zu
Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
Was ihre Kirch’ auf mich für Anspruch habe.

SITTAH

(Unglückliche! — Es ahnte mir!)

RECHA

Ich sei
Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! —
Gott! Gott! Er nicht mein Vater! — Sittah! Sittah!
Sieh mich aufs Neu' zu deinen Füßen …

SITTAH

Recha!
Nicht doch! steh auf! — Mein Bruder kommt! steh auf!

 

SIEBENTER AUFTRITT

/ Saladin und die Vorigen /

SALADIN

Was gibt's hier, Sittah?

SITTAH

Sie ist von sich! Gott!

SALADIN

Wer ist’s?

SITTAH

Du weißt ja…

SALADIN

Unsers Nathans Tochter?
Was fehlt ihr?

SITTAH

Komm doch zu dir, Kind! — Der Sultan…

RECHA

/ die sich auf den Knieen zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt /

Ich steh nicht auf! nicht eher auf! — mag eher
Des Sultans Antlitz nicht erblicken eher
Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit
Und Güte nicht in seinen Augen, nicht
Auf seiner Stirn bewundern …

SALADIN

Steh … steh auf!

RECHA

Eh er mir nicht verspricht …

SALADIN

Komm! ich verspreche…
Sei was es will!

RECHA

Nicht mehr, nicht weniger,
Als meinen Vater mir zu lassen; und
Mich ihm! — Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater
Zu sein verlangt, — verlangen kann. Will’s auch
Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut
Den Vater? nur das Blut?

SALADIN

/ der sie aufhebt /

Ich merke wohl —
Wer war so grausam denn, dir selbst — dir selbst
Dergleichen in den Kopf zu setzen? Ist
Es denn schon völlig ausgemacht? — erwiesen?

RECHA

Muss wohl! Denn Daja will von meiner Amm'
Es haben.

SALADIN

Deiner Amme?

RECHA

Die es sterbend
Ihr zu vertrauen sich verbunden fühlte.

SALADIN

Gar sterbend! — Nicht auch faselnd schon? — Und wär’s
Auch wahr! — Ja wohl: das Blut, das Blut allein
Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum
Den Vater eines Tieres! gibt zum höchsten
Das erste Recht, sich diesen Namen zu
Erwerben! — Lass dir doch nicht bange sein! —
Und weißt du was? Sobald der Väter zwei
Sich um dich streiten: — Lass sie beide; nimm
Den dritten! — Nimm dann mich zu deinem Vater!

SITTAH

O tu’s! o tu’s!

SALADIN

Ich will ein guter Vater,
Recht guter Vater sein! — Doch halt! mir fällt
Noch viel was Bessers bei. — Was brauchst du denn
Der Väter überhaupt? Wenn sie nun sterben?
Bei Zeiten sich nach einem umgesehn,
Der mit uns um die Wette leben will!
Kennst du noch keinen? …

SITTAH

Mach sie nicht erröten!

SALADIN

Das hab ich allerdings mir vorgesetzt.
Erröten macht die Hässlichen so schön:
Und sollte Schöne nicht noch schöner machen
Ich habe deinen Vater Nathan, und
Noch einen — einen noch hierher bestellt.
Errätst du ihn? — Hierher! Du wirst mir doch
Erlauben, Sittah?

SITTAH

Bruder!

SALADIN

Dass du ja
Vor ihm recht sehr errötest, liebes Mädchen!

RECHA

Vor wem? erröten? …

SALADIN

Kleine Heuchlerin!
Nun so erblasse lieber! Wie du willst
Und kannst! —
Eine Sklavin tritt herein, und nahet sich Sittah.
Sie sind doch etwa nicht schon da?

SITTAH

Gut! lass sie nur herein. — Sie sind es, Bruder!

 

LETZTER AUFTRITT

/ Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen. /

SALADIN

Ah, meine guten, lieben Freunde! — dich,
Dich, Nathan, muss ich nur vor allen Dingen
Bedeuten, dass du nun, sobald du willst,
Dein Geld kannst wieder holen lassen! …

NATHAN

Sultan!…

SALADIN

Nun steh ich auch zu deinen Diensten …

NATHAN

Sultan!…

SALADIN

Die Karawan’ ist da. Ich bin so reich
Nun wieder, als ich lange nicht gewesen. —
Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Großes
Zu unternehmen! Denn auch Ihr, auch Ihr,
Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes
Zu viel nie haben!

NATHAN

Und warum zuerst
Von dieser Kleinigkeit? — Ich sehe dort
Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen mir
Weit angelegner ist. Geht auf Recha zu. Du hast geweint?
Was fehlt dir? — bist doch meine Tochter noch?

RECHA

Mein Vater! …

NATHAN

Wir verstehen uns. Genug! —
Sei heiter! Sei gefasst! Wenn sonst dein Herz
Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst
Nur kein Verlust nicht droht! — Dein Vater ist
Dir unverloren!

RECHA

Keiner, keiner sonst!

TEMPELHERR

Sonst keiner? — Nun! so hab ich mich betrogen.
Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat
Man zu besitzen nie geglaubt, und nie
Gewünscht. — Recht wohl! recht wohl! — Das ändert, Nathan,
Das ändert alles! — Saladin, wir kamen
Auf dein Geheiß. — Allein, ich hatte dich
Verleitet: jetzt bemüh dich nur nicht weiter!

SALADIN

Wie gach nun wieder, junger Mann! — Soll alles
Dir denn entgegen kommen? alles dich
Erraten?

TEMPELHERR

Nun, du hörst ja! siehst ja, Sultan!

SALADIN

Ei wahrlich! — Schlimm genug, dass deiner Sache
Du nicht gewisser warst!

TEMPELHERR

So bin ich’s nun.

SALADIN

Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt,
Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist
Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär
Der Räuber, den sein Geiz in’s Feuer jagt,
So gut ein Held, wie du!
Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.
Komm, liebes Mädchen,
Komm! Nimm’s mit ihm nicht so genau. Denn wär
Er anders, wär er minder warm und stolz:
Er hätt es bleiben lassen, dich zu retten.
Du musst ihm eins fürs andre rechnen. — Komm!
Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!
Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!
Und wenn er dich verschmäht; dir's je vergisst,
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
Für ihn getan, als er für dich … Was hat
Er denn für dich getan? Ein wenig sich
Beräuchern lassen? ist was Rechts! — so hat
Er meines Bruders, meines Assad, nichts!
So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.
Komm, Liebe …

SITTAH

Geh! geh, Liebe, geh! Es ist
Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;
Noch immer nichts.

NATHAN

Halt Saladin! halt Sittah!

SALADIN

Auch du?

NATHAN

Hier hat noch einer mitzusprechen…

SALADIN

Wer leugnet das? — Unstreitig, Nathan, kommt
So einem Pflegevater eine Stimme
Mit zu! Die erste, wenn du willst. — Du hörst,
Ich weiß der Sache ganze Lage.

NATHAN

Nicht so ganz! —
Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;
Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,
Doch auch vorher zu hören bitte.

SALADIN

Wer?

NATHAN

Ihr Bruder!

SALADIN

Rechas Bruder?

NATHAN

Ja!

RECHA

Mein Bruder?
So hab ich einen Bruder?

TEMPELHERR

/ aus einer wilden, stummen Zerstreuung auffahrend /

Wo? wo ist
Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt
Ihn hier ja treffen.

NATHAN

Nur Geduld!

TEMPELHERR

/ äußerst bitter /

Er hat
Ihr einen Vater aufgebunden: — wird
Er keinen Bruder für sie finden?

SALADIN

Das
Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger
Verdacht wär über Assads Lippen nicht
Gekommen. — Gut! fahr nur so fort!

NATHAN

Verzeih
Ihm! Ich verzeih ihm gern. — Wer weiß, was wir
An seiner Stell', in seinem Alter dächten!
Freundschaftlich, auf ihn zugehend
Natürlich, Ritter! — Argwohn folgt auf Misstraun
Wenn Ihr mich Eures *wahren* Namens gleich
Gewürdigt hättet …

TEMPELHERR

Wie?

NATHAN

Ihr seid kein Stauffen!

TEMPELHERR

Wer bin ich denn?

NATHAN

Heißt Curd von Stauffen nicht!

TEMPELHERR

Wie heiß ich denn?

NATHAN

Heißt Leu von Filneck.

TEMPELHERR

Wie?

NATHAN

Ihr stutzt?

TEMPELHERR

Mit Recht! Wer sagt das?

NATHAN

Ich, der mehr,
Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes
Euch keiner Lüge.

TEMPELHERR

Nicht?

NATHAN

Kann doch wohl sein,
Dass jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.

TEMPELHERR

Das sollt ich meinen! — (Das hieß Gott ihn sprechen!)

NATHAN

Denn Eure Mutter — die war eine Stauffin.
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben,
Sie wieder hier zu Lande kamen: — der
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindestatt
Vielleicht Euch angenommen haben! — Seid
Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber
Gekommen? Und er lebt doch noch?

TEMPELHERR

Was soll
Ich sagen? — Nathan! — Allerdings! So ist’s!
Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten
Verstärkung unsers Ordens. — Aber, aber —
Was hat mit diesem allen Rechas Bruder
Zu schaffen?

NATHAN

Euer Vater…

TEMPELHERR

Wie? auch den
Habt Ihr gekannt? auch den?

NATHAN

Er war mein Freund.

TEMPELHERR

War Euer Freund? Ist’s möglich, Nathan! …

NATHAN

Nannte
Sich Wolf von Filneck; aber war kein Deutscher …

TEMPELHERR

Ihr wisst auch das?

NATHAN

War einer Deutschen nur
Vermählt, war Eurer Mutter nur nach Deutschland
Auf kurze Zeit gefolgt …

TEMPELHERR

Nicht mehr! Ich bitt
Euch! — Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder …

NATHAN

Seid Ihr!

TEMPELHERR

Ich? ich ihr Bruder?

RECHA

Er mein Bruder?

SITTAH

Geschwister!

SALADIN

Sie Geschwister!

RECHA

/ will auf ihn zu /

Ah! mein Bruder!

TEMPELHERR

/ tritt zurück /

Ihr Bruder!

RECHA

/ hält an, und wendet sich zu Nathan /

Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz
Weiß nichts davon! — Wir sind Betrüger! Gott!

SALADIN

/ zum Tempelherrn /

Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken?
Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen
An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein!
So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!

TEMPELHERR

/ sich demütig ihm nahend /

Missdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan!
Verkenn in einem Augenblick, in dem
Du schwerlich deinen Assad je gesehen,
Nicht ihn und mich!
Auf Nathan zueilend.
Ihr nehmt und gebt mir, Nathan!
Mit vollen Händen beides! — Nein! Ihr gebt
Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!
Recha um den Hals fallend
Ah meine Schwester! meine Schwester!

NATHAN

Blanda
Von Filneck!

TEMPELHERR

Blanda? Blanda? — Recha nicht?
Nicht Eure Recha mehr? — Gott! Ihr verstoßt
Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder!
Verstoßt sie meinetwegen! — Nathan! Nathan!
Warum es sie entgelten lassen? — sie!

NATHAN

Und was? — O meine Kinder! meine Kinder! —
Denn meiner Tochter Bruder wär mein Kind
Nicht auch, — sobald er will?

/ Indem er sich ihren Umarmungen überlässt, tritt Saladin mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester. /

SALADIN

Was sagt du, Schwester?

SITTAH

Ich bin gerührt …

SALADIN

Und ich, — ich schaudre
Vor einer größern Rührung fast zurück!
Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.

SITTAH

Wie?

SALADIN

Nathan, auf ein Wort! ein Wort! —
Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnehmung zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.
Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin
Nicht —?

NATHAN

Was?

SALADIN

Aus Deutschland sei ihr Vater nicht
Gewesen, ein geborner Deutscher nicht.
Was war er denn? Wo war er sonst denn her?

NATHAN

Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen.
Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.

SALADIN

Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?

NATHAN

O! dass er der nicht sei, gestand er wohl. —
Er sprach am liebsten Persisch …

SALADIN

Persisch? Persisch?
Was will ich mehr? — Er ist’s! Er war es!

NATHAN

Wer?

SALADIN

Mein Bruder! ganz gewiss! Mein Assad! Ganz.
Gewiss!

NATHAN

Nun, wenn du selbst darauf verfällst: —
Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!

/ Ihm das Brevier überreichend. /

SALADIN

/ es begierig aufschlagend /

Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!

NATHAN

Noch wissen sie von nichts! Noch steht’s bei dir
Allein, was sie davon erfahren sollen!

SALADIN

/ indes er darin geblättert /

Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen?
Ich meine Neffen — meine Kinder nicht?
Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen?
Wieder laut.
Sie sind’s! sie sind es, Sittah, sind’s! Sie sind’s!
Sind beide meines … deines Bruders Kinder!

/ Er rennt in ihre Umarmungen. /

SITTAH

/ ihm folgend /

Was hör ich! — Konnt’s auch anders, anders sein!

SALADIN

/ zum Tempelherrn /

Nun musst du doch wohl, Trotzkopf, musst mich lieben!
Zu Recha.
Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
Magst wollen, oder nicht!

SITTAH

Ich auch! ich auch!
Saladin zum Tempelherrn zurück.
Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!

TEMPELHERR

Ich deines Bluts! — So waren jene Träume,
Womit man meine Kindheit wiegte, doch —
Doch mehr als Träume!

/ Ihm zu Füßen fallend /

SALADIN

/ ihn aufhebend /

Seht den Bösewicht!
Er wusste was davon, und konnte mich
Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!

/ Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang. /

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